Ich rede gut über dich – #hopeSpeech
Unter dem Stichwort "Verrohung der Sprache" wird in den letzten Jahren über diffamierende Kommentare und sprachliche Angriffe auf Sozialen Internetplatt-formen wie facebook, twitter, instagram und Co. diskutiert. Digitale Räume spiegeln deutlicher denn je die Polarisierungen im politischen Diskurs wider und wir erleben Diskriminierungen von Minderheiten, Beleidigungen und Einschüchterungen. Diese Räume erscheinen oft als hoffnungslose Orte ohne Respekt und demokratische Regeln und nicht als Orte, die Raum geben für zivilgesellschaftliche Debatten, die Sichtbarkeit von marginalisierten Gruppen oder für Nächstenliebe und Solidarität.
Antidemokratische Kräfte nehmen im digitalen Diskurs viel Raum ein und wir können beobachten, wie bestimmte politische Kräfte soziale Medien gezielt nutzen, um die Stimmung aufzuheizen und die Kommunikation zu vergiften. Mit dem Projekt NetzTeufel der Evangelischen Akademie zu Berlin wenden wir uns hateSpeech (engl. für Hass-Rede) im Namen des christlichen Glaubens zu: Wir führen eigene Analysen durch, entwickeln Handlungsstrategien, vernetzen Aktive aus kirchlichen und kirchennahen Einrichtungen und erstellen Bildungsmaterialien.
hateSpeech - Hass-Rede: Wissen worum es geht
Auf unserer Website netzteufel.eaberlin.de haben wir die Ergebnisse unserer Social-Media-Analyse veröffentlicht. In der Analyse haben wir uns auf "Toxische Narrative" konzentriert, um die erzählerischen Elemente, mit denen die Kommunikation im Netz vergiftet wird, sichtbar zu machen. Thematisch geht es dabei um die Bereiche Islam, Migration, Homosexualität, Gender und Demokratie. Das verbindende Element in vielen Hasskommentaren ist eine Konstruktion von Angst, durch die häufig eine Endzeitstimmung oder ein Kulturkampf beschwört werden. Es geht immer gleich um alles: Die gesamte Gesellschaftsordnung ist in Gefahr, die Kirche oder die Institution der Ehe. Und wenn große Gefahr droht, so die Logik, darf polemisiert, diskriminiert und skandalisiert werden.
hopeSpeech - Hoffnungs-Rede: Mehr als nur dagegen
Das Problem enthemmter Online-Kommunikation wird mit "Hass" unzureichend beschrieben. Es geht um das Schüren von Ängsten und die Diskriminierung von Menschen; ein kritischer Umgang mit solchen Positionen muss deshalb auch mehr sein als reine argumentative Gegenrede oder liebevoller Trotz. Es braucht eine christliche Perspektive der Hoffnung, die auf die grundsätzliche Gestaltbarkeit des Diskussionsklimas und politischen Prozessen zielt.
#hopeSpeech-Workshop
Mit unserem Offline-Workshop haben wir ein Format entwickelt, diesen Ansatz interaktiv umzusetzen - ganz analog mit Bastelmaterial für Jung und Alt. Wir stellen alle für den Workshop benötigten Druckvorlagen, auch zur Weiterentwicklung, als freies Bildungsmaterial auf unserer Website zur Verfügung. Zusätzlich gibt es einen Online-Kurs, in dem alle Grundlagen zur Durchführung des Workshops vermittelt werden. Der Workshop basiert auf einer ausgedruckten fiktiven Social-Media-Plattform mit dem Namen "Diss Kurs". Die Teilnehmenden geraten darin ins Gespräch über ihre eigenen Erfahrungen mit verachtenden Kommentaren und ihren Umgang mit solchen Positionen online wie offline.
Welches die passende Form ist, miteinander auch über kontroverse Themen zu sprechen, hängt immer von verschiedenen Fragen ab: An welchen Orten spreche ich mit welchen Menschen, mit welchem Ziel und unter welcher Vorannahme begegne ich meinem Gegenüber. Die Vielheit an möglichen Reaktionen reicht von Diskutieren, Ignorieren, Solidarisieren bis zum Ironisieren oder Löschen. All diese Formen finden sich als Bastelmaterial in unserem #hopeSpeech-Koffer wieder: Leere Kommentarfelder, ausgedruckte Memes und Emojis sowie Glitzerpulver und Zensurmarker. Die Vielfalt der Möglichkeiten eröffnet im angeregten Basteln das Gespräch über unser Handeln in einer komplexer werdenden Welt.
Der kontrollierte Grenzübertritt
Durch die spielerische Freiheit des Bastelmaterials überwinden die meisten Gruppen die Ohnmacht, nicht zu wissen, wie sie auf die diskriminierenden Kommentare antworten sollen. In den Kleingruppen entstehen mitunter auch Antworten oder Strategien, die in der Gesamtgruppe als kontrovers empfunden werden. Die Reflexion bietet Raum, um gemeinsam festzustellen, wie schnell auch die eigene Kommunikation unter die Gürtellinie gehen kann. Das schärft den Blick dafür, dass es immer auch Menschen sind, die die Kommentare schreiben. Im besten Fall übt der Kurs die Fähigkeit, Haltung zu entwickeln und zu zeigen, ohne das Gegenüber zu verletzen; Humor anzuwenden, der sich nicht über andere Menschen lustig macht. Der Workshop soll ein Ansatzpunkt sein, dort nach Hoffnung zu suchen, wo nur Angst zu gedeihen scheint.
Pflegt die Filterblasen
Social-Media-Plattformen wie facebook und Co aber auch Nachrichtendienste wie WhatsApp sind selbstverständliche Gesprächsräume für Jung und Alt, für Familien und Freunde, für Interessensgruppen und Konfliktgruppen. Derzeit wird oft behauptet, dass Menschen sich dort in ihre eigenen Filterblasen zurückziehen würden. Wir beobachten hingegen eher das Aufeinandertreffen und vor allem das Aufeinanderprallen von verschiedenen Blasen. Was früher am Stammtisch besprochen wurde und in der Kneipe blieb, können heute alle Menschen an vielen Enden des Netzes lesen. Vielleicht brauchen wir daher mehr Filter im Netz, um Räume zu haben, in denen wir gut miteinander und übereinander reden können, ohne dass sofort ein Schreihals um die Ecke kommt und das Gespräch zerstört. An anderer Stellen müssen wir uns jedoch unserer Blasen bewusst werden und das Gespräch mit Menschen suchen, deren Lebenswelt wir nicht alltäglich begegnen. Raus aus der Blase - rein in den Schaum, der aus vielen Blasen besteht und gemeinsam ein Netz der Hoffnung bildet.
Timo Versemann / Kristina Herbst
Projekt: NetzTeufel, Evangelische Akademie, Berlin
Publiziert in: Mission MitMensch! Agentinnen und Agenten der Nächstenliebe, Jan. 2020