Schreiben Sie einfach! – Eine Ermunterung für Nichtprofis
Was sind "gute" Texte? Mit dieser Frage setzen sich Journalist*innen, Autor*innen, Publizist*innen seit Jahren immer wieder neu auseinander, und immer wieder kommen neue oder auch konträre Erkenntnisse hinzu. Die Medienlandschaft verändert sich, andere Themen rücken in den Mittelpunkt, neue Zielgruppen bilden sich heraus - und schließlich setzen einzelne Verlage ihre eigenen Prämissen und Autor*innen lassen sich von ihrem persönlichen Geschmack leiten. Was sind also "gute Texte"? Kann man diese Frage überhaupt beantworten, und wenn ja: Gibt es so etwas wie verlässliche Regeln, an die man sich halten kann? Für Sie als Ehrenamtliche, die ja immer wieder schreiben müssen, sicher keine ganz unwichtige Frage.
Ich bin überzeugt davon, dass wir alle - wenn auch unterschiedlich stark ausgeprägt - sehr gut wissen, was eine "gute Schreibe" ist, und dass es vor allem alle lernen können, wenn wir nur aufmerksam genug hinschauen. Fragen Sie sich: Was lese ich gern? Was finde ich spannend? Was berührt mich? Wer sich so bei seiner täglichen Lektüre auf die Suche macht, ja, auch wer anderen im Alltag zuhört, wenn sie spannende Geschichten erzählen, oder auch sich selber, wenn eine Erzählung gut gelingt: Der/Die befindet sich auf dem besten und effektivsten Übungsplatz, den es für "gutes" Schreiben gibt.
Denn - was wir im Alltag spannend, informativ und "hörenswert" finden: Warum sollte es bei Texten anders, also nicht "lesenswert" sein?
"Gute" Schreibe ist einfach, klar, zeigt Gefühle, versteckt sich nicht hinter bürokratischen Formulierungen, geschwollenen Sätzen oder kalter Fachsprache. Sie ist nicht eitel oder besserwisserisch, sie wirft nicht zwanzig Gedanken auf den Tisch, sondern stellt einen klaren Wegweiser auf, worum es in dem Text gehen wird. Sie sucht die Nähe zu den Leser*innen, erklärt, knüpft Verbindungen zu ihrem Alltag und gibt viele Beispiele. Und sie ahmt nicht nach: Sie strahlt immer das Selbstbewusstsein aus, die für gut befundene Sprache und Erzählweise in eine eigene Schriftsprache zu übersetzen.
Eine eigene Schriftsprache? Genau! Hat uns jemand vorgeschrieben, wie wir sprechen sollen? Natürlich, wir haben die korrekte Sprache von unseren Eltern erlernt. Aber wie wir tatsächlich reden, Betonung, Gestik, Stimmlage, das war vor allem unsere Sache, hat unsere Sprache einzigartig gemacht und ist Ausdruck unserer Persönlichkeit. Auch unsere Schriftsprache ist einzigartig, wenn wir es zulassen, und die Erfahrung zeigt: Wann immer Texte dieses Selbstbewusstsein ausstrahlen, wenn Texte sich etwas trauen, dann sind Menschen begeistert, fühlen sich angesprochen, behalten, was sie gelesen haben. Auch, weil in diesen Texten die Autor*innen als Persönlichkeiten spürbar werden und eine Beziehung zu ihnen und vor allem auch zu den Inhalten entsteht. Storyteller sagen: Gute Texte haben einen präsenten Erzähler, eine präsente Erzählerin. Genau das ist unter anderem damit gemeint.
Und das gilt auch für Texte aus der Politik, für Texte von NGOs, und das ist vor allem in Ihrem ehrenamtlichen Engagement ein ganz entscheidender Punkt: Wenn Sie technokratisch schreiben, Fachjargon nutzen oder sich sehr abstrakt ausdrücken, aus Unsicherheit oder weil andere das auch so machen, dann werden Menschen sich möglicherweise fragen: Wie passt diese Sprache zu den Inhalten? Wie tickt der oder die, kann ich ihm oder ihr dieses Engagement glauben?
Gerade in der Politik oder bei NGOs, die viel Fachliches vermitteln sollen, höre ich - nicht nur zwischen den Zeilen - immer wieder ein "Muss": Ich "muss" doch alle Details aufzählen, sonst glaubt jemand, ich fände sie unwichtig. Ich "muss" doch Fachbegriffe benutzen, damit die Wissenschaftskolleg*innen mich als Expert*in wahrnehmen. Ich "muss" mich dem Jargon unseres Hauses anpassen, sonst werde ich nicht ernst genommen. Ich muss, ich muss, ich muss. Kein Wunder, dass da vielen die Hand stockt und sie sich in Endlosschleifen bei der Verfassung selbst kleinster Beiträge verirren. Und so entstehen dann häufig Texte, die zwar seriös und pflichtbewusst alle Fakten aufzählen, aber die Menschen emotional nicht erreichen. Hirnforscher sagen sinngemäß: Wenn wir Menschen nicht emotional erreichen, erreichen wir sie überhaupt nicht.
Mit diesem kleinen Exkurs möchte ich Sie ermutigen zu schreiben. Machen Sie sich also auf die Suche nach Ihrer Sprache, nach Ihren Texten. Und damit Sie es dabei etwas einfacher haben, möchte ich Ihnen die Checklisten nicht vorenthalten, die ich in meinen Seminaren immer verteile, zumindest einige wichtige Punkte daraus. Denn natürlich kann man das, was gute Texte ausmacht, in ein paar griffige Grundsätze fassen - und Sie werden vielleicht erstaunt sein, wie sehr diese Regeln Ihrer Alltagserfahrung von spannenden Erzählungen entsprechen.
1. Check: Was will ich sagen?
Eine gute Vorbereitung ist extrem wichtig und ein erprobtes Mittel, sich erst gar nicht im Labyrinth der vielen Gedanken und Details eines Themas zu verirren. Diese Vorbereitung können/sollten Sie zu einem Ritual erheben: Nehmen Sie sich ein Blatt Papier, bevor Sie anfangen zu schreiben. Notieren Sie in drei Sätzen, welche Botschaft die Leser*innen nach der Lektüre mitnehmen sollen. Reduzieren Sie diese drei Sätze auf zwei, dann weiter auf einen Satz. Suchen Sie am Schluss sogar ein Wort/Motto, das sich wie ein Leitmotiv durch Ihren Text ziehen könnte, explizit oder zwischen den Zeilen. So etwas wie "Neuanfang", "Widerstand überwinden", "Solidarität leben". Wenn Sie das geschafft haben, sind Sie auf dem richtigen Weg. Es gelingt Ihnen nicht? Dann gehen Sie noch einmal in sich: Wissen Sie wirklich, was Sie sagen wollen? Oder sind Sie gerade im Begriff, alles in den Text zu packen, was es zu diesem Thema zu sagen gibt? Wollen Sie viele Botschaften "auf einen Schlag" loswerden? Das wird nicht funktionieren.
Finden Sie die Kernaussage: Das bedeutet, dass Leser*innen am Schluss der Lektüre genau verstanden haben müssen, was der Autor/die Autorin ihnen sagen wollte. Am besten sollten auch die Leser*innen die Botschaft in einem Satz zusammenfassen können (s.o.). Das erreichen Sie als Autor*innen, wenn Sie in Ihren Texten einen Aspekt des Themas herausgreifen und diesen dann mit einer klaren Botschaft verbinden (die keine Lösung präsentieren muss, sondern auch eine Frage oder die Formulierung einer Sorge sein kann).
Nehmen wir das Beispiel Pflegenotstand: Kein Text kann alle Aspekte dieses Themas auffächern, das leuchtet unmittelbar ein. Also müssen wir noch weiter herunterbrechen und uns fragen: Auf welchen Fokus wollen wir uns konzentrieren? Wollen wir die Lage der Patient*innen schildern? Die des Personals? Oder wollen wir uns auf neue Pflegekonzepte konzentrieren? Und was wäre unsere Aussage? Etwa: "Patient*innen vereinsamen in der Corona-Krise - mit erheblichen Auswirkungen auf ihre seelische Gesundheit?" - Oder: "Viele Pflegekräfte sind hochmotiviert, werden aber zu wenig mit Fortbildungen unterstützt?" - Oder: "Es gibt längst Konzepte, die Angehörigen in die Pflege einzubeziehen, sie scheitern aber an zu viel Bürokratie."
Wenn Sie diese Kernaussage einmal gefunden haben, haben Sie gleichzeitig einen guten Kompass in der Hand, um sich durch das Dickicht der vielen Fakten und Details Ihres Themas zu navigieren. Dann verlieren Sie auch den berühmten Roten Faden nicht, dann fällt es Ihnen leicht, die passenden Fakten auszuwählen, die genau diese (und keine andere!) Kernaussage stützen. Dann können Sie souverän entscheiden, welches Detail, welches Zitat, welche Information in diesem Text sinnvoll ist oder was ihn möglicherweise überfrachten könnte. Nicht die Fülle der Details und Fakten in einem Text bestimmt seine Qualität (was viele glauben), sondern die Frage, wie präzise sie Ihre Kernaussage stützen und durch den Text begleiten.
2. Check: Kommen Menschen vor?
Alle Menschen lieben Geschichten von anderen Menschen. Sie können sich mit ihnen identifizieren oder von ihnen abgrenzen, sie können deren Erlebnisse oder Schicksale mit ihren eigenen vergleichen und dabei lernen, sie empfinden Schmerz, Empathie, Mitleid oder Zorn, in einem Satz: Sie sind "voll dabei". Was können wir uns mehr wünschen? Hirnforscher wie zum Beispiel Manfred Spitzer formulieren es kurz und prägnant: "Menschen interessieren sich nicht in erster Linie für Fakten, Menschen interessieren sich vor allem für andere Menschen."
Wenn ich Spitzer in meinen Seminaren zitiere, nicken die meisten bestätigend, wenden aber häufig sofort ein: "Bei unseren Texten geht das nicht, ich muss einfach in erster Linie Fakten vermitteln, das erwartet unsere Zielgruppe". Mal abgesehen davon, dass niemand genau weiß, was denn die Zielgruppe erwartet, ob sie wirklich enttäuscht wäre, wenn der Text etwas nahbarer, emotionaler, unterhaltsamer wäre: Natürlich gibt es Service-Texte, Protokolle, Nachrichten, Berichte, die überwiegend die Aufgabe haben, Fakten zu vermitteln. Diese Texte sind unentbehrlich, Grundlage des Journalismus, und es wird sie weiter geben.
Aber es ist schon erstaunlich, wie schnell die Chance, Menschen zu erreichen, zugunsten von "Fakten" aufgegeben beziehungsweise gar nicht erst erwogen wird. Es gibt so viele Themen, die den Leser*innen sehr viel überzeugender vermittelt werden könnten, weil in ihnen Menschen eine Rolle spielen - holen wir sie doch in unsere Texte! Und sei es nur in einer kleinen Geschichte zu Beginn, einer kleinen Anekdote mitten im Text, einem Beispiel noch mal am Schluss. Viele große Zeitungen und Magazine versuchen das seit vielen Jahren mit immer mehr Themen aus allen Ressorts. Gerade fiel mir eine Mail von Campact in die Hände, in der eine 16-Jährige Fridays-for-Future-Aktivistin ihren Text so begann - bevor sie, ja, auch wichtige Fakten zum Thema erläuterte:
"Seit 16 Jahren lebe ich mit den Baggern vor meiner Haustür. Und mit einem Riss in der Erde, der quer durch unser Dorf geht: Tagebauschaden heißt das. Jeden Tag, wenn ich von der Schule nach Hause komme, liegt eine neue Schicht Kohlestaub über meinem Fenster. Egal, wie viel ich putze: Es bleibt grau. So wird mir jeden Tag klar: Mein Zuhause hier im Rheinland ist bedroht ..."
Eine NGO beginnt ihren Text über ein neues Bergbau-Projekt in Australien folgendermaßen:
"Ein neuer Kohle-Tagebau in Australien, in einer Region, wo bisher noch kein Kohleabbau stattfand, ist ein echtes Großprojekt. Das allerdings in Australien auf massiven Widerstand gestoßen ist: Sowohl sehr viele Menschen, die sich für eine grundlegende Änderung der Klimapolitik einsetzen, lehnen dieses Großprojekt ab, als auch Organisationen der indigenen Bevölkerung Australiens ..."
Der erste Text erzeugt sofort Gefühle, berührt, der andere - keinesfalls schlecht, aber ohne jede Emotion, ohne jedes Bild - schafft Distanz. Der erste lädt ein, die dazugehörigen Fakten zu verstehen, weil ein Gefühl der Bedrohung und Ungerechtigkeit entstanden ist. Der zweite ermüdet nach drei Zeilen, weil er abstrakt und nüchtern bleibt. Menschen interessieren sich in erster Linie für Menschen und dann auch für die Fakten, die mit diesem Schicksal zusammenhängen. Und nicht zuletzt: Sie behalten diese Fakten auch besser, weil sie sie jetzt mit Bildern verknüpfen können.
3. Check: Ist meine Sprache bildhaft?
Was ist bildhafte Sprache? Ein Beispiel aus dem Alltag erklärt es schnell. Wenn Sie sagen: "Ich gehe auf den Markt, Lebensmittel einkaufen", bleibt das recht abstrakt. Wenn Sie Lebensmittel durch "Gemüse" ersetzen, wird es schon konkreter. Wenn Sie von "Blumenkohl" sprechen, haben Menschen sogar ein Bild im Kopf. Und darauf kommt es an. Warum?
Unsere Sprache verrät, wie unser Gehirn lernt. Sie ist voller Metaphern, also voller Bilder. Wenn wir einen Gedanken verstehen oder eine Situation nicht einordnen können, "begreifen" wir etwas oder können es nicht "fassen", nur ein Beispiel unter Hunderten von Metaphern in unserer Sprache. Wir verstehen also etwas mit allen fünf Sinnen, in diesem Fall der Berührung über Hände und Haut - oder eben nicht oder nur unvollständig. Wenn wir Hirnforschung und Neurolinguist*innen ernst nehmen, haben wir keine Wahl, ob wir bildhaft schreiben wollen oder nicht. Bilder entscheiden darüber, wie intensiv und nachhaltig unsere Texte aufgenommen werden. Die Neurolinguistin Elisabeth Wehling schreibt:
"Nur die Sprache, die nah am Menschen und unserem Alltag ist, ist im Gehirn wirklich semantisch komplex. Alles, was wir sehen, was wir anfassen und fühlen können, was wir selber tun können, ist in unserem Gehirn mit Bedeutung vernetzt. Je abstrakter Politiker und Führungskräfte sind, umso weniger Bedeutung haben sie."
Journalist*innen, Autor*innen können sich ebenfalls angesprochen fühlen, auch Sie, die Ehrenamtlichen, denn auch Sie wollen mit Ihren Texten ja andere Menschen erreichen. Was aber meint Elisabeth Wehling mit "semantisch komplex"? Wenn Sie zum Beispiel sagen: "Menschen im Globalen Süden leiden unter dem Klimawandel", dann versteht das natürlich jeder. Wenn Sie aber Beispiele geben und ergänzen, "weil ihre Böden ausgetrocknet sind und der Reis nicht mehr gedeiht", dann haben Menschen Bilder im Kopf und verstehen Ihre Botschaft "komplex", also vollständig, mit allen Sinnen. Und diese Bilder bleiben im Kopf, lösen Gefühle aus, werden mit den Fakten verknüpft und werden vielleicht sogar motivieren, sich zu engagieren.
4. Check: Ist mein Text spannend?
Überlegen Sie, welche Geschichten Sie im Alltag spannend finden. Was muss jemand schaffen, der Sie auf dem Weg zum Einkauf, zwischen zwei wichtigen Terminen, anhalten will, um seine Geschichte loszuwerden? Dass Sie tatsächlich stehen bleiben und zuhören, sogar bis zum Schluss? Richtig - der erste Satz muss Sie neugierig machen, Sie müssen wissen, was an der Geschichte für Sie interessant sein soll. Es muss aber auch spannend weitergehen, auf immer neue Höhepunkte hin - und am Ende erwarten Sie so etwas wie eine Pointe, noch einmal ein spannendes oder neues Detail, etwas, das die Geschichte "rund" macht. Nur dann hat es sich für Sie gelohnt, die Hektik eine Weile zu vergessen und bis zum Ende zuzuhören - und Sie gehen belustigt oder besorgt oder auch ermutigt nach Hause.
Unsere Leser*innen sind genau in dieser Situation. Auch sie sind häufig in Eile, haben in der Regel wenig Zeit. Und wenn wir ihnen nicht sofort zeigen können, warum unsere Geschichte interessant für sie sein könnte, wenn wir während des Erzählens den Roten Faden verlieren, also vergessen, was wir eigentlich sagen wollten, wenn wir nicht immer wieder neue, spannende Höhepunkte bereithalten: Dann werden sie bald aussteigen und weiterblättern.
Aristoteles hat viel über die Struktur von Texten geschrieben, Storyteller haben auf Grundlage seiner Ausführungen in der "Poetik" die Storykurve entwickelt. Sie besagt, dass jeder Text mindestens drei Höhepunkte hat. Der Anfang muss neugierig und der Zielgruppe mit wenigen Sätzen klarmachen, warum der Text lesenswert und relevant für sie ist. Die Mitte wartet mit neuen interessanten Fakten oder anderen Höhepunkten auf, die die Kernaussage des Textes weiterdrehen. Das Ende hält noch einmal ein neues interessantes Detail oder eine schöne Szene bereit, das oder die die Geschichte "rund" macht, die Kernaussage noch einmal fokussiert, auf den Punkt bringt.
Nehmen wir als Beispiel ein gelungenes Wasserprojekt im Globalen Süden, über das Sie berichten wollen. Kernaussage wäre etwa: "In XY haben die Menschen ein Projekt gestartet, das ihnen und ihrer Familie den Lebensunterhalt sichert." Wie könnte hier die Spannungskurve für eine interessante Lektüre sorgen?
Der Text könnte mit Bildern von sprudelnden Quellen beginnen und Menschen zeigen, die dort ihr Wasser holen - ein motivierender Anfang, der neugierig macht: "Wie haben die das geschafft?", fragt man sich. In der Mitte erfahren die Leser*innen, wie es zu diesem Projekt kam, lesen von einem entscheidenden Wendepunkt auf dem Weg dieses Erfolges. Und am Ende wird eine Familie gezeigt, der es jetzt wieder gelingt, das Nötigste zu erwirtschaften, ein guter Schlusspunkt, der die Kernaussage mit einem starken Bild bekräftigt. Übrigens: Auch reine Faktentexte können der Storykurve folgen, indem sie die entscheidenden Informationen nicht gleich alle am Anfang verraten, sondern gut auf die drei wichtigen strategischen Punkte - Anfang, Mitte, Ende - verteilen.
5. Check: Empathie und Inklusion?
Sie, liebe Ehrenamtliche, sind empathisch und denken inklusiv, davon gehe ich aus. Aber - schaffen es diese Werte auch in Ihre Texte? Können die Leser*innen spüren, dass Sie empathisch sind, dass Sie auf Augenhöhe mit ihnen sprechen? Die Neurolinguistin Elisabeth Wehling sagt, dass Menschen - zum Beispiel auch bei Wahlen - weniger auf die Fakten reagieren als auf die Werte des/der Sprechenden oder Schreibenden, die sie seinen/ihren Reden und Texten entnehmen - ob sie es wollen oder so meinen oder nicht. Viele Politiker*innen, auch Journalist*innen, die häufig nur aus Unsicherheit oder Unkenntnis sperrig und abstrakt schreiben, ahnen nicht, welche Wirkung ihre Sprache haben kann: Viele Fachbegriffe, sperrige Sätze, unverständliche Abkürzungen wirken nicht inklusiv, sie schließen im Gegenteil Leser*innen aus, weil sie Mühe haben, zu folgen - oder sogar erst googeln müssen, um den Inhalt zu verstehen. Und ein technokratischer, bürokratischer Schreibstil wird überdies nicht mit Werten wie "Empathie" oder "Fürsorge" in Zusammenhang gebracht. Auch die ständige Betonung und Wiederholung der eigenen Leistung "Wir, die XY-Partei oder die XY-NGO" setzen nicht auf Inklusion, sondern auf Abgrenzung. Verben wie "ermahnen", "befähigen" oder "darauf hinweisen" rufen nicht Werte wie Kooperation hervor, sondern gehören in ein hierarchisches Verhältnis.
Gerade Empathie zum Beispiel ist für viele Menschen ein hoher Wert. Wer fürsorglich über eine Sache oder die Menschen spricht, für die er sich engagieren will, schafft hohe Glaubwürdigkeit und Akzeptanz für sein (politisches) Anliegen. Barack Obama gilt als ein sehr empathischer Redner, ein Auszug aus seiner Wahlrede 2008 zeigt, warum:
"Wir messen die Stärke unserer Wirtschaft nicht an der Zahl unserer Milliardäre. Sondern daran, ob eine Kellnerin, die vom Trinkgeld lebt, einen Tag freimachen kann, weil sie sich um ihr krankes Kind kümmern muss. Wir wollen eine Wirtschaft, die die Würde der Arbeit respektiert." (Barack Obama, 2008)
Obama geht von einer abstrakten Behauptung in ein konkretes Beispiel - und wird so nicht nur bildhaft, sondern zeigt gleichzeitig, für welche Werte er steht.
Meine kleine Schreibwerkstatt ist hier zu Ende. Unten gebe ich Ihnen ein paar Literaturtipps, falls Sie den einen oder anderen Punkt vertiefen wollen. Wenn Sie dazu keine Zeit haben, dann empfehle ich Ihnen:
Schreiben Sie einfach!
Autorin: Elisabeth Schmidt-Landenberger
Medientrainerin - Textcoach - freie Textchefin, Berlin und Freiburg
www.elisabeth-schmidt-landenberger.de
Die Urheberrechte dieses Textes liegen bei der Autorin Elisabeth Schmidt-Landenberger.
Publiziert in: Ehrenamt setzt sich ein! Sozial aktiv - politisch wirksam, Jan. 2021
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Literaturtipps:
Marie Lampert, Rolf Wespe: Storytelling, UVK, 2011 (u.a. gute Tipps für bildhaftes Schreiben).
Elisabeth Wehling, George Lakoff: Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre Macht, Carl Auer Verlag (spannende Erkenntnisse über die Wirkung von Sprache), 2016.
Wolf Schneider: Deutsch für Profis. Goldmann, 1999 (gutes Training für das Handwerkzeug Sprache).