Elisabeth - überraschend zeitgenössisch
Elisabeth - überraschend zeitgenössisch
Das Kirchenfenster, auf dem das berühmte Rosenwunder dargestellt ist, befindet sich in der Kapelle des Lorenz-Werthmann-Hauses in Freiburg, dem Sitz des Deutschen Caritasverbandes.
Die Legende erzählt, wie die hl. Elisabeth, trotz eines Verbotes, Brot zu bedürftigen Menschen bringen will und dabei von ihrem Mann Ludwig gestoppt wird. Als sie das Tuch ihres Korbes lüftet, befinden sich darin aber keine Brote mehr, sondern Rosen.
Elisabeth war schon zu Lebzeiten eine Legende und berühmt für ihren aufopfernden und selbstlosen Einsatz für Menschen am Rande der Gesellschaft, wie wir heute sagen würden. Eine Frau, die auf der Sonnenseite des Lebens stand: Ungarischer Adel, ein solides wirtschaftliches Auskommen und eine glückliche Verbindung von Herrschaftspolitik und Partnerschaft in Ehe und Familie. Eine Frau, die aber auch am eigenen Leib erfahren hat, wie brüchig dieses geschenkte Glück letztlich war. Von ihrer Burg vertrieben und fasziniert von den Ideen des Franz von Assisi lebt sie nach dem Tod ihres Mannes das franziskanische Ideal der Nachfolge Jesu. Ihr Beistand für die Pflege der Aussätzigen, die Sorge um die vielen Waisenkinder und die vom Hunger bedrohte Bevölkerung lassen sie den krassen Unterschied zwischen dem Luxus auf der Burg und der Armut des Volkes nicht mehr aushalten.
Versucht man Impulse für caritatives Engagement heute herauszuarbeiten, wäre es unseriös, ein Leben aus dem Hochmittelalter in die differenzierte Gesellschaft der Gegenwart zu übertragen. Von daher kann es nicht um die konkreten Aktivitäten einer Elisabeth von Thüringen gehen. Wohl aber um die dahinter stehenden Haltungen, um die Quellen ihres Handelns. In ethischer Hinsicht ist dabei schnell von der "Goldenen Regel" die Rede. "Was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen", heißt es beim Evangelisten Lukas (Lk 6,31). Oder im Buch Tobit ermahnt dieser seinen Sohn mit den Worten: "Was dir selbst verhasst ist, das mute auch einem anderen nicht zu" (Tob 4,15). Wo wir solche lebenspraktischen Regeln mit den Haltungen der hl. Elisabeth verbinden, könnte so etwas wie ein Transfer möglich werden.
In ihrem biografischen Roman beschreibt Ursula Koch die kleine Elisabeth als "wildes Kind". Der Mut, eine abenteuerliche Entdeckung zu machen, auf die Nase zu fallen und sich die Knie aufzuschürfen, aber gleich wieder aufzustehen und es von neuem zu probieren, ist geradezu ein fantastisches Bild für die Caritas. Zum Selbstverständnis caritativen Engagements gehört ein gerüttelt Maß an Unangepasst-heit. Denn Nächstenliebe muss sich nach den Bedürfnissen und Nöten der Menschen richten, denen geholfen werden soll. Das, was um der Menschen willen notwendig ist, muss dabei nicht immer der Meinung der Mehrheit entsprechen.
Aus diesem wilden Kind wurde eine leidenschaftlich liebende Frau. Wer sich der Menschen annimmt und weiß, warum er sich um jene kümmert, die niemand beachtet und die ausgegrenzt sind, der braucht Herzblut. Das ist keine Arbeit für Bürokraten und für Men-schen, die nur auf Zahlen und Regeln starren. Leidenschaftlich liebend ist jemand, der zuerst diejenigen im Blick hat, die seiner Hilfe bedürfen, der nicht von vorneherein rechnet und kalkuliert und auf die Zuwendung derer spekuliert, denen er zur Seite steht.
Und schließlich wird Elisabeth zu einer mutigen Verweigerin. Auch dies kann zu einem Bild für caritative Arbeit werden. Gegen den Strom zu schwimmen, wenn es darum geht, sich für Menschen einzusetzen, die ausgegrenzt werden wie Asylbewerber und Flüchtlinge; gegen den Strom zu schwimmen, wenn uns selbst der Kompass einer Option für die Armen verloren geht; aber auch gegen den Strom, wenn es darum geht, unsere Gesellschaft und die Politik permanent schlecht zu reden.
Das Fenster mit der Darstellung der heiligen Elisabeth hängt aus guten Gründen in der Zentrale des Deutschen Caritasverbandes. Denn die hl. Elisabeth ist in ihren Haltungen eine geradezu zeitgenössische Heilige, die das caritative Engagement bereichert. Eine Heilige, nicht einfach zum Wohlfühlen, aber doch eine Heilige, die uns von neuem einlädt, die Welt immer wieder mal mit neuen Augen zu sehen.
Prälat Dr. Peter Neher
Präsident des Deutschen Caritasverbands e.V.