Ihre Hände sind ihr Glaube
Schon als Kind wurde mir die Legende von meiner Großmutter, die nach ihr benannt war, Jahr ums Jahr erzählt. Anders als zum Beispiel meine eigene Namenspatronin erscheint sie mir ‚griffiger‘, weniger fern, mehr Mensch. Ich bewundere neben ihrem tiefen Glauben ihre Menschenliebe, ihren Pragmatismus und ihre Demut.
Im letzten Jahr war ich mit meinem Chor zu einer kurzen Konzertreise in Bamberg. Am Samstagabend haben wir dort gemeinsam die Vorabendmesse in der Kirche St. Elisabeth musikalisch gestaltet. Der dortige Pfarrer führte uns im Anschluss durch die Kirche und machte uns auf ein besonderes Kleinod aufmerksam: Die Glasfenster des Künstlers Markus Lüpertz, die erst seit ein paar Jahren diese Kirche zieren. Diese acht Fenster verbinden auf besondere Weise die biblische Grundlage der Sieben Werke der Barmherzigkeit und das Leben der Heiligen Elisabeth:
Almosen geben, Gefangene besuchen, Hungrige speisen, Kranke besuchen, Nackte bekleiden, Obdachlose beherbergen, Tote begraben.
In einem achten Fenster werden diese barmherzigen Werke in dem Wort Jesu aus dem Matthäusevangelium im 25. Kapitel zusammengeführt: "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan."
Die praktische Verwirklichung der Nächstenliebe soll eins sein mit der Liebe zu Gott.
Der Künstler möchte in seinen Darstellungen die Vergangenheit mit der Gegenwart verbunden sehen: "Die Bilder sollen die Betrachterinnen und Betrachter dazu einladen, sich mit den Geheimnissen und Fragen der Mystik zu beschäftigen und zu eigenen Positionen zu finden."[1]
Was mich an diesen Fenstern so fasziniert hat: Sie sind nicht nur wunderschöne Kunst, sondern sie sind Verkündigung des Glaubens. Und sie tun genau das, was der Künstler offenbar intendiert hat: Sie ziehen die Betrachtenden, die Betenden, die Gläubigen mit hinein in das Geschehen.
Mein Lieblingsfenster ist das, welches die Versorgung der Kranken durch Elisabeth mit überdimensional großen Händen abbildet. Am unteren Rand des Fensters finden sich weitere Kranke mit Wunden, die als Rosen dargestellt sind, und die zudem auf die Wundmale Jesu hindeuten sollen.
Ein Satz des dortigen Ortspfarrers dazu gefiel mir besonders und er geht mir bis heute nach, weil er das Leben und Wirken der Heiligen Elisabeth ganz pragmatisch auf den Punkt bringt:
Ihre Hände sind ihr Glaube!
Elisabeth hat diese untrennbare Verbindung der Gottesliebe und der Nächstenliebe nicht nur im Kopf verstanden, sondern buchstäblich in die Hand genommen. Sie hat gemacht und gelebt, was sie geglaubt hat. Ihr Glaube, ihre Hingabe haben Dinge möglich gemacht, die ihre ‚kleinen‘ Hände allein gar nicht vermocht hätten… Und so werden ihre Hände und mit ihnen ihr Tun durch den Glauben und dem daraus folgenden Willen, das Evangelium wirklich zu leben, RIESENgroß.
Entgegen allen Erwartungen und Regeln, an die sich Elisabeth hätte halten müssen, entgegen allem, was möglich erscheint, macht sie, was sie für richtig und nötig hält - mit sehr großen Händen und noch größerem Herzen. Elisabeth lebt das, was Jesus den Menschen aufgetragen hat. Das Evangelium bekommt Hand und Fuß - in Elisabeth und durch sie.
Das kann uns Menschen - damals und noch viel mehr heute - als echtes Vorbild dienen!
Wieviel mehr noch könnten wir auch heute in unserem nahen Umfeld, aber auch in der großen Welt bewegen, wenn unsere HÄNDE und damit unser Glaube, unsere Überzeugung, unsere Liebe zu Gott und den Menschen so überdimensional groß wären…
…und die Zweifel entsprechend kleiner.
Wenn wir vor allem selbst daran glaubten, dass wir etwas bewegen können, eben weil unsere Hände größer sind als ‚normal‘.
Die Autorin Susanne Niemeyer spricht in einem solchen Kontext von sogenannten Möglichkeitsräumen - etwas, das nicht ist, aber sein kann, wenn und weil wir es für möglich halten. Möglichkeitsräume interessieren sich nicht für alle möglichen Gründe und Einwände, für Ausreden und Befürchtungen. Sie fragen nicht danach, ob es geht oder gar, ob es möglicherweise erlaubt ist. So lassen sie die besten Dinge entstehen. Da wachsen Kräfte in uns, die wir nicht erklären können - einfach, weil wir es uns zutrauen und daran glauben, dass das Unmögliche möglich ist. Und, weil wir daran glauben und vielleicht auch schon oft erlebt haben, dass wir das nicht allein machen müssen, sondern jemand unsere Hände größer und stärker macht.
Ich wünsche Ihnen allen - besonders in diesen Tagen rund um den Festtag der Heiligen Elisabeth, den wir als CKD ja als Namenstag feiern dürfen - dass Sie ihrem Vorbild folgen, weil Sie sich verbunden fühlen und ihren Geist spüren, der Sie befähigt zu wachsen und groß zu werden. Ich wünsche Ihnen Muße und Fantasie, unzählige Möglichkeitsräume zu erschaffen, um sie in Liebe und mit großen Händen wahrwerden zu lassen.
Cäcilia Montag
Geistliche Begleiterin in den CKD Berlin
Abbildung: Glasfenster in der Kirche St. Elisabeth (Bamberg) von Markus Lüpert
[1] https://museum.bamberg.de/news/luepertz-glasfenster-in-der-kirche-st-elisabeth/; aufgerufen am 06.05.2024.