Neue Medien – neues Lernen
Welche Chancen bietet die Digitalisierung für das soziale Ehrenamt?
In erster Linie bietet die Digitalisierung die große Chance des einfachen, schnellen standortübergreifenden Austauschs. Plattformen einer gewissen Größe, wie beispielsweise das von uns als "Learning Lab" mitentwickelte, bundesweite "VHS-Ehrenamtsportal", bieten die Chance der Vernetzung und des Lernens. Sie bieten die Möglichkeit, Akteure, Initiativen, Vereine und Projekte, die in einer an sonst stark heterogenen, zersplitterten Ehrenamtslandschschaft unterwegs sind, an einer Stelle zusammenzubringen.
Als Verband den Peer-to-peer-Gedanken zum standortübergreifenden Austausch aufzugreifen und eine einheitliche Plattform für ein Ehrenamtsnetz anzubieten, ist hilfreich. Technisch würde man über "Mandanten" das Zusammenarbeiten kleinerer Gruppen in Unterstrukturen ermöglichen. Diese Untergruppen können sich aufgrund der gleichen Plattformumgebung wiederum gut nach außen öffnen, in den Austausch treten, unter Beibehaltung ihrer eigenen Identität.
Die Digitalisierung bietet ebenfalls große Chancen im Bereich des Kompetenzaufbaus. Beispielsweise sahen wir dies in der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe. Nicht wenige Ehrenamtliche gelangten hier an ihre eigenen Grenzen. Früher hat man für die Ehrenamtlichen "Kurse" angeboten. Geeigneter ist jedoch, weil die Ehrenamtlichen in erster Linie helfen wollen, ihnen über digitale Plattformen die Kompetenzentwicklung zu ermöglichen (www.vhs-ehrenamtsportal.de). Selbst in der kirchlichen Ehrenamtsarbeit tätig, erlebe ich hier einen zunehmenden Bedarf.
Wir brauchen hierzu neue Wege. Dies fängt bei Präventionsthemen an und geht über in die einzelnen Themen der Sozialarbeit. Die Fragestellung hierbei lautet: Wie können wir das Ehrenamt stärken? Wir sollten die traditionellen Formen der Weiterbildung erweitern, weil diese alleine zunehmend nicht mehr greifen.
Wie hoch ist der Druck auf die kirchlich geprägte Ehrenamtsarbeit, sich auf die Digitalisierung einzulassen?
Ich schätze den persönlichen Druck, den die Ehrenamtlichen empfinden, als nicht sehr hoch ein - die Chancen jedoch als riesig! Viele haben bisher keine starke Beziehung zur Digitalisierung aufgebaut. Ihnen fällt eine Einschätzung des Ganzen schwer. Es ist oft relativ wenig Erfahrungshintergrund vorhanden. Deshalb wäre es wichtig, mit Pilotprojekten anzufangen, um Erfahrungsräume digitaler Möglichkeiten für Ehrenamtliche zu bieten.
Der gesellschaftliche Druck wiederum ist enorm. Die Erwartungen an das Ehrenamt hinsichtlich Qualität und Kompetenz sind stark gestiegen. Meine Behauptung ist, dass wir die heutigen Ehrenamtlichen hierzu nicht mehr in herkömmliche Schulungen schicken können. Biete ich jedoch eine Website und bitte die Ehrenamtlichen, sich mit den dort jederzeit abrufbaren webbasierten Texten, Videos, Interviews und Beispielen oder einem Online-Kurs zu beschäftigen, ist der Zuspruch und die Motivation weitaus größer.
Was wären Wege neuen Lernens mittels digitaler Medien für Ehrenamtliche?
Meine These ist, dass die Ehrenamtlichen grundsätzlich offen für neue Lernformen sind. Bietet ein Verband, der z. B. bestimmte Präventionserwartungen an seine freiwillig Tätigen richtet, einen gut gestalteten Online-Kurs zur Präventionsschulung an, würden meiner Meinung nach viele Freiwillige positiv reagieren und diesen Online-Kurs am Wochenende oder an mehreren Abenden, wie es für sie am besten passt, machen. Vonseiten der Ehrenamtlichen sehe ich da-her weniger Hürden. Die große Hürde ist das Fehlen dieser Angebote in der kirchlichen und caritativen Ehrenamtsarbeit.
Wie sehen Sie Medien wie Videokonferenz oder Webinare in der Ehrenamtsarbeit?
Wie das in einer kirchlichen Bildungsarbeit verfestigt und eingebunden werden könnte, müsste man erproben. Mein Tipp ist, diese Bemühungen mit Begleitforschung zu hinterlegen, um die Erfahrungen entsprechend auswerten zu können.
Wie könnte man die caritativ-kirchlich engagierten Ehrenamtlichen in den Wandel mitnehmen?
Ich denke, die Ehrenamtlichen sind weniger die Hürde. Im Caritas- und Kirchenumfeld sehe ich noch keine nennenswerte Anzahl an digitalen Angeboten, wir haben keine zeitgemäßen digitalen Plattformen, wir haben nicht die Pilotprojekte, mit denen Digitalisierung für eine große Anzahl von kirchlichen Ehrenamtlichen erfahrbar wird. Wir brauchen in naher Zukunft eher digitale Pilotprojekte, in denen Ehrenamtliche Digitalisierung erleben und ausprobieren können. Hierzu braucht es Moderatoren, die Prozesse beim Aufbau digitaler Umgebungen begleiten.
Die Bildungsarbeit verlagert sich dann in neue Rollen und neue Aufgaben, z. B. wird ein Bildungsreferent dann zukünftig einen gewissen Teil Onlinearbeit machen, die neu entstandenen Plattformen betreuen und nutzen.
WhatsApp und Facebook sind aus meiner Sicht ungeeignet. Es braucht spezielle Umgebungen, die es zum Teil bereits gibt, die man jedoch anpassen müsste an die speziellen Bedürfnisse der kirchlich-sozial tätigen Ehrenamtlichen.
Die Träger der Ehrenamtsarbeit müssen jetzt loslegen und mit den Ehrenamtlichen zusammen die Bedürfnisse zukünftiger digitaler Ehrenamts-Plattformen zu klären: Wie müssen diese aussehen? Was braucht es an hauptberuflichem Betreuungsaufwand? Wie kann man die Kommunikation unterstützen? Wie kann man diese Prozesse gestalten? Wo brauchen die Ehrenamtlichen Inputs? Wie kann man ihnen durch kleine Weiterbildungsmodule Hilfestellung leisten? Letzten Endes braucht es ein didaktisches Konzept für einen spezifisch umrissenen Rahmen, z. B. die Flüchtlingsarbeit oder das Thema Kommunion/Firmvorbereitung/Katechese. Wieso müssen bei den heutigen digitalen Möglichkeiten die Katecheten immer noch jeden Kommunions-/Firmunterricht neu erfinden? Es sind große Chancen, die wir aktuell durch die Digitalisierung haben, um die ehrenamtlich tätigen Menschen vor Ort zu unterstützen.
Die beschränkten Ressourcen machen es für einen Verband notwendig, sich auf ein klar definiertes Set von Aktivitäten zu fokussieren, um eine Wirkung zu erzielen. Hierzu bräuchte es mindestens einen Workshop, um beispielsweise zu ermitteln, was die drei spezifischen Ansatzpunkte für die Caritas-Konferenzen sind, sich weiterzuentwickeln.
Spannend wird es, wenn der einzelne Ehrenamtliche aus Lemgo sich mit der Ehrenamtlichen aus München virtuell zu einer Problemstellung, oder wenn eine Ortsgruppe eine Initiative plant und sie sich jeweils über die Erfahrungen mit anderen dazu austauschen kann. Das sind Potenziale, bei denen auch wirklich eine Kräftigung und Synergie entstehen können.