Öffentlichkeitsarbeit, die Mut und Lust macht
Als ich Ende der 1970er-Jahre als frischgebackener evangelischer Pfarrer in einer oberbayerischen Gemeinde Hochzeitspaare, Taufeltern oder die Hinterbliebenen von Verstorbenen besuchte, fiel mir etwas auf: Auch Menschen, die keinerlei Kontakt mit Kirche hatten und von ihr eigentlich nichts wussten - sie hatten trotzdem alle starke Emotionen gegenüber Kirche. Sie mochten sie, oder fanden sie konservativ, von hintergestern, zu modernistisch, zu langweilig, zu politisch …
Woher konnten sie das wissen, wenn sie doch Kirche kaum von innen kannten? Schnell war mir klar: Ihre Emotionen kamen vor allem aus dem, was sie aus den Medien über Kirche erfuhren. Für mich war das ein Signal. Nach meiner ersten Ausbildungsphase bemühte ich mich, einen Job in der kirchlichen Medienarbeit zu bekommen. Es klappte, und ich war über zehn Jahre im Medienhaus der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern tätig.
Wer Öffentlichkeitsarbeit macht, hat eine große Verantwortung
Was man sagt, schreibt, fotografiert und filmt wird vervielfältigt. Wie viele Menschen es dann mitbekommen, hat man immer weniger in der Hand. Mal sind es nur wenige, und man fragt sich, ob sich der ganze Aufwand lohnt. Wenn aber eine Meldung oder ein Bericht viral gehen, können es auch Millionen sein. Hoffentlich ist es dann keine Falschmeldung, keine lächerliche Panne oder sonst eine Peinlichkeit!
Immer mehr Medienschaffenden wird klar, dass sie nicht nur Probleme lösen, sondern auch selbst welche erzeugen. Angst vor Terror, vor Fremden, vor der Zukunft … all das entsteht durch diffuse Meinungswolken, die medial aufgegriffen werden, sich dabei verstärken und manchmal auf unerklärliche Weise zu neuen Themenkomplexen zusammenballen wie Heuschreckenschwärme.
Der Journalist Bastian Berbner fragte in einem aufsehenerregenden Artikel mit dem Titel "Wir Terrorhelfer" (Die Zeit Nr. 35/2017), ob Terroristen wohl jemals so viel Angst und Schrecken hätten verbreiten können, wenn sich die Medien nicht bereitwillig von den Attentätern hätten benutzen lassen.
In den 1980er-Jahren versuchte die britische Premierministerin Margaret Thatcher, dem gegenzusteuern und die Berichterstattung über den Terror der IRA in Nordirland einzugrenzen. Wir dürfen einer aggressiven Minderheit in unseren Medien keine mehr Bühne bieten, sagte sie. Das war ein intelligenter Ansatz. Die damals erlassenen Gesetze haben den Einfluss der IRA zumindest geschwächt. Langwierige, aber letztlich erfolgreiche Verhandlungen wurden möglich.
Das gilt nicht nur für Berichte über Terror und Gewalt. Auch Nachrichten über soziale, ökologische, medizinische oder wirtschaftliche Probleme folgen der inneren Logik, dass Gefahren interessanter und glaubwürdiger sind als Lösungen. Doch bei immer mehr Medienmachern und Mediennutzern merke ich eine heilsame Verstörtheit: Was lassen wir da eigentlich mit uns machen? Warum lassen wir die Angst so tief in uns eindringen? Warum lassen wir uns unsere mühsam erkämpfte Freiheit so schnell wieder rauben?
Medienwissenschaftler wundern sich: Warum rief die Grippewelle 2017/18 mit 25.000 Todesopfern in Deutschland kaum ein Medienecho hervor? Warum aber wurde die Covid-19-Pandemie mit 10.000 To-desopfern nach zehn Monaten (Stand: Oktober 2020) das wohl größte globale Medienereignis, das es je gab?
Solche Grundsatzfragen gelten nicht nur für die "großen" Medien, sondern für jede und jeden, die/der Tatsachen und Meinungen verbreitet. Es wird viel gemeckert und geschimpft über "die Medien". Gleichzeitig aber gab es noch nie so viel Selbstkritik und Nachdenklichkeit bei den Machern.
Der Charme von konstruktiven Nachrichten
Zum Beispiel bei Ulrik Haagerup. Er ist Nachrichtenchef beim dänischen Radio. Er fragte sich, warum die Leute immer weniger Zeitungen lesen und auch bei seinem eigenen Sender die Zuhörerzahlen sinken. Er fragte seine Bekannten, und die sagten: Ulrik, eure ewigen schlechten Nachrichten gehen uns auf den Senkel. Alles negativ, das nervt!
Diese Klage ist nicht neu. Immer wieder einmal versuchten Zeitungen und Radio, "Die gute Nachricht des Tages" zu bringen. Aber Haagerup merkte, dass er über das simple Schema von "schlecht" und "gut" hinausdenken musste. So unterschied er "destruktive" und "konstruktive" Nachrichten.
Haagerup hat seinen Radiosender radikal umgestellt. Er färbt die Welt nicht schön, aber er bereitet Nachrichten so auf, dass die öffentliche Debatte inspiriert wird. Er schickt nicht Vertreter unterschiedlicher Meinungen in ein Studio, die sich dann heftig streiten sollen. Stattdessen legt er den Schwerpunkt auf Berichte über Hilfsinitiativen. Es wird recherchiert, wie Probleme in anderen Ländern angepackt werden - eine Globalisierung der guten Ideen.
Die Botschaft des christlichen Glaubens ist zutiefst konstruktiv
Haagerup hat ein Buch über "Konstruktive Nachrichten" geschrieben und kommt dabei auch auf die Kir-chen zu sprechen. Dort findet er den gleichen Grundton wie in den Medien und an den Stammtischen: Alles wird schlechter. Die Menschen werden immer egoistischer. Sie denken weniger an ihren Nächsten und weniger an Gott. Das ist der maulige Refrain in vielen Verlautbarungen und Ansprachen.
Dabei tun Menschen viel Gutes. Und die Botschaft des christlichen Glaubens ist zutiefst konstruktiv: Gott wird Mensch. Als Säugling geboren. Der unendliche Abstand zwischen Gott und Mensch ist dahin. Wenn Menschen leiden, leidet Gott. Wenn ihnen etwas gelingt, freut er sich mit. Das ist die gute Nachricht, auf Griechisch "Evangelium". Gläubige Menschen feiern sie an Weihnachten, zu Ostern, auf Pilgerreisen und an Einkehrtagen. Es ist eine so sensationelle Nachricht, dass ihr der kirchliche Weihnachtskalender vier Wochen Anlauf dafür gönnt, den Advent.
Christinnen und Christen ermutigen MitMenschen
"Mehr konstruktive Nachrichten!" ist ein gutes Motto gerade für kirchliche Öffentlichkeitsarbeit. Christinnen und Christen sind verpflichtet, anderen Menschen nicht nur zu helfen, sondern sie darüber hinaus zu ermutigen und ihnen Auswege zu zeigen aus Angst und Zorn, Mutlosigkeit und Kummer. Es gibt keinen Grund, zu verzweifeln! Niemals. Das steht für mich unsichtbar auf jeder Kerze, die wir anzünden, auf jeder Initiative, jeder caritativen Einrichtung. Was haben wir Menschen nicht schon alles gemeistert!
Von dem Bremer Arzt und Neurowissenschaftler Franz Sperlich habe ich einen schönen Tipp bekommen. Er hat mir geraten: Wenn du nach destruktiven Nachrichten ganz niedergeschlagen bist, sag folgenden Satz zu dir: "Glaube nicht all deinen Emotionen! Vertrau darauf, dass es auch Gelingendes in dieser Welt gibt und in dir selbst! Auswege, Lösungen, Innovationen, starke Konzepte, viel Kraft gegen das Böse. Viel mehr jedenfalls, als du jetzt gerade im extremen Vergrößerungsglas der Medien gezeigt bekommen hast. Und wenn du die Anfangsbuchstaben dieses Satzes, Glaub nicht all deinen Emotionen‘ hintereinander liest, ergeben sie ein Wort: Gnade."
Ich habe es unzählige Male erlebt: Wenn Menschen zusammensitzen und beginnen, über die Ungerechtigkeit in der Gesellschaft zu reden, über die ökologischen Gefahren, die sich zusammenbrauen, über die Dummheit der Mitmenschen und die Falschheit der Politiker und was nicht sonst noch alles - da gibt es kein besseres Gegenmittel, als über einen Mut machenden Einzelfall im näheren Umfeld zu berichten. Und die Runde aufzufordern, sich den Kopf zu zerbrechen über die Frage: Was können wir hier vor Ort tun?
Was können wir hier vor Ort tun?
Aus dieser einfachen Frage sind alle großen und kleinen Hilfswerke entstanden. Eine Frage wie ein Samenkorn. Warum sollte sie nicht aus dem Artikel oder der Meldung kommen, die Sie schreiben, zeichnen, posten, fotografieren, filmen oder besingen?
Recherchieren Sie so lange, bis Sie auf Ermutigendes stoßen. Das muss nicht "etwas Schönes" oder gar "Nettes" sein, aber etwas, das vom Gelingen erzählt, vom Lohn des Dranbleibens. Da werden Sie manchmal geduldig bohren müssen. Denn als Erstes berichten Menschen eher von ihren Schwierigkeiten, von den mühsamen alltäglichen Kämpfen, die sie frustrieren oder wütend machen. "Darüber müssen Sie schreiben, damit sich hier mal was ändert." Der "kritische Journalismus" steckt nicht nur den Medienmachern, sondern auch den Mediennutzern im Blut. Aber er bewirkt so wenig! Er macht so müde!
Wenn Sie dranbleiben, werden Sie auf die Quellen stoßen, aus denen sich die Energie fürs Weiterarbeiten speist. Lassen Sie sich Erlebtes aus erster Hand erzählen, mit richtigen Menschen und echten Schauplätzen. Fahnden Sie nach Projekten, für die Menschen unerklärliche Kräfte mobilisieren konnten. Bei denen Sie etwas geschafft haben, das Sie vorher für unmöglich hielten.
Schreiben Sie so, dass Sie es am Ende auch selbst gern lesen und nach der Lektüre Ihres eigenen Artikels ermutigt sind. Ich verspreche Ihnen: Dann wird Öffentlichkeitsarbeit zu einem der schönsten Jobs, die es gibt.
Autor: Werner Tiki Küstenmacher
Die Urheberrechte dieses Textes liegen beim Autor.
Publiziert in: Ehrenamt setzt sich ein! Sozial aktiv - politisch wirksam, Jan. 2021