Der Charme des Augenblicks – zu Besuch bei..
"Was, Sie sind beim Besuchsdienst? Gibt es diese Arbeit überhaupt noch? Und wieso tun Sie sich das an, zu fremden Leute ins Haus zu gehen?" Fragen in der heutigen Zeit. Der Besuchsdienst scheinbar überholt. Eine angestaubte Form des Kontaktes zu den Kirchengemeindemitgliedern.
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Ja, damals, als der Besuchsdienst entstand, da war es durchaus sinnvoll und geradezu notwendig, zu den Leuten ins Haus zu kommen. Es gab kein Telefon, geschweige denn ein Internet zur Nachrichtenüberbringung. Es gab kein Fernsehen zur Unterhaltung, zur Information und zum Zeitvertreib. Zur Versorgung der Kranken, der Einsamen und alten Menschen in der Gemeinde war man darauf angewiesen, dass regelmäßig jemand zu Besuch kam und nachschaute, wie es den Gemeindemitgliedern geht und was sie vielleicht brauchen. Heutzutage erledigen diese Fürsorge Beratungsstellen, ambulante Pflegedienste und Tagespflegeeinrichtungen und Seniorenpflegeheime. Viele auch als katholische Angebote. Also wieso dann noch die Ehrenamtlichen der katholischen Kirchengemeinden, die weiterhin die Gemeindemitglieder zu den verschiedenen Anlässen zuhause besuchen?
Die Antwort ist ganz einfach. Wir finden sie bereits im vorigen Heft beschrieben unter der Überschrift: Barmherzigkeit - die leidenschaftliche Liebe Gottes - Gedanken zum Heiligen Jahr der Barmherzigkeit: Es ist die Kernaufgabe der Christenheit, barmherzige Werke zu tun. Die Autorin zählt sieben Werke auf: Einem Menschen sagen: Du gehörst dazu, ich höre dir zu, ich rede gut über dich, ich gehe ein Stück mit dir, ich teile mit dir, ich besuche dich, ich bete für dich.
Bei einem Besuch biete ich dies alles ganz persönlich an, von Mensch zu Mensch. Dies ist das Herzstück dessen, wieso auch in unserer Gegenwart Besuchsdienste so besonders und wichtig sind: Es geht um die Möglichkeit einer vollständigen Begegnung, mit all unseren Sinnen. Einem sich Treffen auf Augenhöhe, mit Achtsamkeit und Behutsamkeit.
Diese Beziehungsangebote sind es, die den ganzen Menschen nähren, mit Körper, Geist und Seele. Denn auch in unserer immer digitalisierteren Welt gilt: Das Leben selbst bleibt analog. Unser Körper mit all seinen Sinnen und Bedürfnissen gibt die Rahmenbedingungen für unseren Alltag. Wir essen ein leckeres Mahl, wir trinken das frische Wasser. Wir kleiden uns je nach der Außentemperatur in warme oder leichte Kleidung. Wir atmen die Luft ein und aus, ganz real. Wir lieben und hassen, wir sind wütend und voller Freude, wir empfinden Ängste, Trauer und Begeisterung. Wir berühren einander und sind im Kontakt in der Begegnung. Wir zeigen wirklich, wer wir sind und verbinden uns miteinander, indem wir uns die Hände reichen. Wir machen Zugehörigkeit spürbar durch unsere Anwesenheit.
Ehrenamtliche im Besuchsdienst nutzen diese Chance des Augenblicks im wahrsten Sinne des Wortes. Denn sie bieten die höchste Wertschätzung an, die wir einander schenken können. Sie zeigen: Ich sehe dich, du bist mir wichtig. Ich bin dir ganz nahe und freue mich, dass du da bist. Ein Mitglied in unserer Kirchengemeinde. Ich bin jetzt ganz für dich da und habe Zeit für dich.
- Das kann bei dem Geburtstagsbesuch das Zuhören vergangener Geschichten sein. Das gemeinsame Kuchen essen und Kaffeetrinken, gerade auch, wenn sonst vielleicht niemand mitfeiert.
- Das kann bei einem Krankenbesuch das Halten der Hand sein, das Gebet, ein Bibelvers oder auch das Singen eines Liedes. Das Teilen des Leides und Schmerzes.
- Das kann bei einem Trauerbesuch das gemeinsame Schweigen sein, im Angesicht des Verlustes. Das Mittragen der Verzweiflung und des seelischen Schmerzes. Anwesenheit als Trost.
- Das kann bei einem Neuzugezogenen das herzliche Willkommen sein, die Zusicherung, zur neuen Gemeinde dazu zu gehören, verbunden mit der Einladung, aktiv mit dabei zu sein.
Alles Möglichkeiten kostbarer Momente heilsamer Nähe.
Die Ehrenamtlichen sind in diesem Augenblick das Gesicht ihrer Kirchengemeinde. Statt anonym und allgemein sprechen sie die Menschen mit ihrer Person an. Sie sind quasi die beauftragten Botschafter(innen) ihrer Gemeinde. Sie zeigen sich und teilen mit: Hier siehst und hörst du mich; solche wie ich und viele andere sind in unserer Gemeinde aktiv und du gehörst dazu! Sie bauen eine Brücke des Vertrauens und halten die Verbindungen zu den einzelnen Gemeindemitgliedern aufrecht.
Gerade auch jetzt, wo Menschen sich zunehmend über Medien wie das Handy, Tablet und Laptop begegnen, ist dieses sich Nahekommen von Mensch zu Mensch ein ganz herausragender Dienst in unserer immer unpersönlicher werdenden Gesellschaft.
Letztlich und im tiefsten Innern setzen sie das fort, wie Gott uns nahe gekommen ist. In Jesus Christus ist er uns als Mensch entgegengekommen, hat uns quasi hautnah besucht, hat unser Leben mitempfunden, mitgefreut, mitgelitten.
Diese Botschaft ermutigt Ehrenamtliche, diesem Beispiel zu folgen und sich immer wieder aufzumachen und selbst zu Botschafter(inne)n von Gottes naher Liebe und Barmherzigkeit zu werden.
Für mich sind die Besucher(innen) wie Abenteurer(innen) unterwegs. Mutig, zuversichtlich und offen für das, was geschehen wird. Jeder Besuch ist anders. Ob sie bei den verschiedenen Anlässen willkommen geheißen werden ist ungewiss. Die Besucher(innen) stehen vor einer Tür und wissen nicht genau, was sie erleben werden. Auf welche Stimmungen sie treffen. Welche Erfahrungen ihr Gegenüber mit der Kirche, dem Glauben gemacht hat. Die ganze Palette zwischen hoch erfreutem Willkommen und krasser Ablehnung ist möglich.
Von daher bedarf es, wie bei jeder/m Abenteurer(in) auch, der guten Vorbereitung und des kontinuierlichen "Trainings"! Als erstes heißt das, zu erkennen: die Besucher(innen) kommen zwar persönlich, doch sie kommen nicht als Privatpersonen. Sie sind Botschafter(innen) und kommen im Auftrag der Kirchengemeinden. Dementsprechend gilt die Reaktion des Gegenübers nicht der Privatperson, sondern der Funktion, in der sie als Besucher(in) kommt. Diese Unterscheidung will gelernt und immer wieder geübt sein.
Zudem haben die Besucher(innen) für sich selbst die Verantwortung, wie viel Zeit, Kraft und Aufmerksamkeit sie schenken können und wollen. Sie bestimmen darüber selbst, wie viel Abenteuer für sie gut ist und wann sie eine Pause möchten.
Eine fortwährende Unterstützung und Fortbildungen für die Ehrenamtlichen sind nach meiner Erfahrung wünschenswert und erforderlich. So gehören die Kommunikationsseminare und Besinnungstage, wie die CKD sie anbieten, ebenfalls dazu, dass das Abenteuer "Besuchsdienst" eine Freude über Begegnungen bleibt und nicht zur Last wird. Der schöne Nebeneffekt solcher Seminare ist: alles, was die Ehrenamtlichen in so einer Fortbildung über die Verbesserung der Kommunikation lernen und ausprobieren, können sie auch in ihrem privaten, beruflichen Umfeld nutzen. Und die geistlichen Impulse können die innere Haltung und den persönlichen Glauben bereichern und vertiefen.
So bestärkt und ermutigt wird die Freude am Besuchsdienst erfrischt und der Mut zum nächsten "Abenteuer" wieder entfacht. Ein Weg, wie die Liebe Gottes lebendig unter uns bleibt, indem wir sie auf diese Weise weitergeben, spürbar, nahbar, persönlich.
Daher die Frage zum Schluss: Sind Sie bereits ehrenamtlich beim Besuchsdienst? Da werden viele mit ‚Ja‘ antworten. Und die anderen haben vielleicht Lust bekommen, bei diesem modernen, lebendigen Dienst mit zu machen und sich auf ihre Weise einzubringen.
Gottes Segen begleitet Sie auf Ihrem Weg.
Dorothea Ziesenhenne-Harr
ev. Dipl. Theologin, Kommunikationstrainerin, NLP-Lehrtrainerin, Neurosystemischer Coach und Begleiterin bei TrauerKlärungs-Prozessen
Aus CKD-Direkt, Ausgabe 03/2016