Input "Ehrenamt und Hauptamt als Querschnitt in der Wohlfahrtspflege denken" (1)
Abstract: Die Caritas-Konferenzen Deutschlands e.V. (CKD) begleiten die verbandliche Entwicklung in der Caritas-Familie und die Neujustierung des Ehrenamtes im verbandlichen Miteinander. In diesem Prozess schlägt die langjährige Bundesvorsitzende Marlies Busse in einem Fachbeitrag vor, den Terminus der Co-Produktion im verbandlichen Miteinander durch den eines Chancenraums zu substituieren [1], Ehrenamtliche in der Caritas-Familie mitmachen und mitgestalten zu lassen [2] und caritatives Engagement als eine lebendige Berufungs- und Glaubenserfahrung zu charakterisieren [3]. |
Mit dem aus den CKD in die in 2023 tagende DCV-Delegiertenversammlung eingebrachten Antrag wurde zunächst eine Evaluation beschlossen, die mit einer quantifizierbaren Bestimmung von ehrenamtlicher Mitarbeit in der verbandlichen Caritas beginnt. Diesem Ansatz liegen zwei Prämissen zugrunde, die für ein Selbstverständnis caritativen Wirkens von hoher Relevanz sind:
a) Ehrenamtliches Engagement ist i.d.R. vor einem hauptamtlichen Engagement am Wirken. Strukturen der verbandlichen Caritas wurden erst nach Sichtbarkeit und erster Organisation ehrenamtlichen Engagements gebildet, so dass der unterstützende Dienst des Hauptamtes zugunsten ehrenamtlichen Wirkens Ausgangspunkt und Kern unserer Überlegungen ist.
b) Der gegenwärtige Diskurs zur Präzisierung des Miteinanders von Ehren- und Hauptamt in der verbandlichen Caritas, der sich u.a. um den Terminus einer Co-Produktion sortiert, wird im Ehrenamt nicht rezipiert, da der Terminus nicht angenommen wird (2). Zu erinnern ist, dass im sozialwissenschaftlichen Diskurs unter dem Begriff einer Co-Produktion ein Prozess, durch den der für die Produktion eines Gutes oder einer Dienstleistung benötigte Input von Akteuren geleistet wird, die nicht einer Organisation angehören, verstanden wird. Co-Produktion ist seitens der sich beteiligenden Akteure auch immer mit dem Wunsch verbunden, den Standort und die Lebensqualität zu verbessern bzw. aufrechtzuerhalten (3).
Für ein Miteinander von Ehren- und Hauptamt in der Wohlfahrtspflege gilt es nachfolgende drei Gedanken bzw. Konstrukte einzubringen:
1. Von der Co-Produktion zum Chancenraum
Die mit dem Begriff der Co-Produktion anvisierte Spezifizierung des Miteinanders von Ehren- und Hauptamt reflektiert vielerlei Arten von Empathie des gemeinsamen Wirkens (z.B. Stiftung von Gemeinschaft, funktionale Professionalisierung, Synchronisierungs-Aufgaben in der Organisation, Harmonisierung von affektiver und kognitiver Empathie) (4). Gleichwohl wird der Begriff der Co-Produktion nicht angenommen, obwohl dieser sozialwissenschaftlicher Common sense für das Miteinander von Ehren- und Hauptamt ist. Daher stellt sich die Frage, ob es im Binnenraum der Caritas eines präzisen Begriffes überhaupt bedarf (5).
Erfahrungen aus den CKD:
In unserem verbandlichen Miteinander gibt es eine Vielzahl von Formen des Miteinanders. Wird die im letzten Jahrhundert gängige Form der "Betreuung" Ehrenamtlicher zu einer kleiner werdenden Nische der Ehrenamtsarbeit, werden kurzfristiges Engagement und thematische Intersektionalität zu einen neuen Normal.
In den CKD verstehen wir uns als Netzwerk und im offenen Diskurs werden mannigfaltige Formen des Selbstverständnisses des Miteinanders von Ehren- und Hauptamt sicht- und erfahrbar. Je nach Engagementebene ist dieses Miteinander von unterschiedlichen Qualitäten gleichwohl aber im Bemühen einer gemeinsamen Augenhöhe geprägt.
Gedanken zur Weiterentwicklung:
Gerade die unterschiedlichen Motivationsquellen und zu integrierenden Interessen Ehrenamtlicher zeigen, dass mit den Ehrenamtlichen sehr viele Chancen in die verbandliche Caritas einziehen. Ehrenamtliche suchen unser Netzwerk, um bewusst Inspirationen, Projekte und Ideen zu verwirklichen. Das Miteinander von Ehren- und Hauptamt wird folglich immer mehr zu einem Chancenraum gemeinsamen Wirkens.
Für uns in den CKD wird damit beispielsweise auch die Frage im internen Diskurs der Ehrenamtlichen gestellt, über welche Qualifikationen, Voraussetzungen und Haltungen die Hauptamtlichen verfügen sollten, die moderne Ehrenamtsarbeit gewinnbringend unterstützen zu können.
2. Ehrenamtliches Engagement ist Mitgestalten und Mitmachen
In der Ehrenamtsarbeit kommen Menschen unterschiedlichen Hintergrundes zusammen. Immer häufiger wird im Engagement der Aspekt "die Gesellschaft mitgestalten zu wollen", zu einem Anliegen und zu einer Zielstellung des Engagements. Dieses Mitgestalten beginnt im verbandlichen Miteinander. Die Motivationsarten von Mitgestalten und Mitmachen sind folglich beide präsent und kommen im sozialen Engagement zusammen.
Mit einem psychologischen Blickwinkel gesprochen, gilt es die Grundbedürfnisse von Engagierten zu spezifizieren: Die Bedürfnisse nach Kompetenzerleben, Selbstbestimmung und sozialer Eingebundenheit sind solche, die sich in unterschiedlichen Ausdrucksformen im Engagement zeigen. Damit verbunden ist der Wunsch, als einzelnes Individuum eine erlebte individuelle Handlungsfähigkeit gespiegelt zu bekommen (6). Hinzu kommen offensichtliche Motivationen, wie dem Nachgehen einer intrinsischen Motivation, aber auch das Mehren von Lebensqualität im Miteinander.
Erfahrungen aus den CKD:
In den CKD war über viele Jahre die Motivationsart des Mitmachens präsent. Praktisches Mitwirken dominierte soziales Engagement (7). Das ist bis heute in unserem Verband sichtbar, hat sich in den letzten zehn Jahren gleichwohl sukzessiv-partiell gewandelt. Nicht wenige Ehrenamtliche wollen auch heute in den CKD, der verbandlichen Caritas und der Zivilgesellschaft mitgestalten. Spannenderweise ist der Wunsch des Mitgestaltens in der Amtskirche weniger ausgeprägt als in der Zivilgesellschaft, so der Eindruck. Gegenwärtige Forschungen bestätigen den verbandlichen Befund der Mitgestaltung:
"Die erste Ebene bezieht sich auf die Möglichkeit der Mitglieder, tatsächlich an der Dienstleistungserstellung des Wohlfahrtsverbandes mitzuwirken, und umfasst alle Handlungen der Ehrenamtlichen, die im Zusammenhang mit der Dienstleistungserstellung stehen. Diese Form der Partizipation wird als aktive Mitwirkungsmöglichkeit bezeichnet. […] Auf der zweiten Ebene wird der Begriff Partizipation in Analogie zu dem der "politischen Partizipation" verstanden und als "verbandspolitische Partizipation" bezeichnet. Der Begriff umfasst alle Handlungen der ehrenamtlich Tätigen, die den Zweck haben, Einfluss auf Sach- und Personalentscheidungen des Verbandes zu nehmen." (8)
In unserem besonderen Wirkfeld BAG Kath. Krankenhaus-Hilfe erleben wir zudem häufiger, dass Anfragen von potentiell Engagierten von den ehrenamtlichen Leitungen abgewiesen werden, da diese gewisse Persönlichkeitskompetenzen für das Wirken als Grüne Damen und Herren erwarten.
Gedanken zur Weiterentwicklung:
Gewiss hat sich die verbandliche Caritas mit ihrer Gründung einer stetigen Professionalisierung verschrieben. Gleichwohl haben auch eine Ehrenamtliche berufliche, methodische und konzeptionelle Professionen, die es zu heben gilt. Böte die verbandliche Caritas nicht genügend Mitwirkungsmöglichkeiten für unterschiedliche Milieus und Professionen, würden die ehrenamtliche Wirkfelder nicht für die Breite der Gesellschaft zur Verfügung stehen.
3. Engagement in der Caritas kann auf einer christlichen Motivation basieren
Die besondere Motivation in der verbandlichen Caritas sich zu engagieren, ist bei vielen - nicht bei allen - Ehrenamtlichen eine, die aus einer christlich-religiösen resultiert. Unter den Engagierten variiert die religiöse Sprechfähigkeit - und das Verständnis einer phänomenologischen Hermeneutik - gleichwohl eint sie der Wunsch das Evangelium mit ihrem Engagement zu kultivieren.
Daher ist es hilfreich, an die Quellen christlichen Engagements anzuschließen, d.h. die verbandliche Caritas als einen Ort der Gottesbegegnung (im Nächsten), der Gemeinschaft (in Liturgie und Verkündigung) und des gelebten Glaubens (z.B. Transformationen in der persönlichen Glaubensbeziehung) zu entdecken. Die persönliche Distanz vieler Engagierter zur Amtskirche als auch die sich verändernden pastoralen Strukturen, verlangen nach neuen Orten gelebten Christseins. Das sollte in der verbandlichen Caritas gewünscht und möglich sein.
Erfahrungen aus den CKD:
Die gegenwärtig laufenden Beratungsformate (Weltsynoden, Synodale Wege etc.) sind für das Engagement in unserem Netzwerk weitgehend uninteressant. Eine samaritanische Kirche wird eher verwirklicht, wenn die zentralen Aspekte zur Theologie des Laien des Zweiten Vatikanischen Konzils - z.B. LG 30, 319 i.V.m. AA (10) - und die Sendung einzelner Christinnen und Christen im sozialen Engagement stärker formuliert werden. Vordergründig ist das gegenwärtige Pontifikat für Engagierte in unserem Netzwerk sehr inspirierend, aber auch im Pontifikat von Johannes Paul II. sind viele theologische Impulse enthalten (z.B. Christifideles laici) (11), die uns als CKD (und sicherlich auch die Caritas-Familie) voranbringen.
Hierzu gehört es beispielsweise, das Engagement in den CKD als explizite Berufung zu verstehen und auch als solche auszusagen.
Gedanken zur Weiterentwicklung:
Das Konzept der loci theologici ist für die Verbände und auch anderen Organisationsstrukturen (seit den 1990er Jahren) ausbuchstabiert und erfährt zudem ein regelmäßiges Update (12). In netzwerkartigen Strukturen tritt sicherlich eine Multiperspektivität von Glaubensressourcen hinzu. Angesichts einer Erosion kirchlich-pastoralen Lebens in Deutschland liegt die Chance der verbandlichen Caritas in der Ermöglichung von Glaubensbeziehungen, aber auch in der Vermittlung einer authentischen Gottesbeziehung.
Marlies Busse
CKD-Bundesvorsitzende 2016-2024
1 Der nachfolgende Beitrag wurde von Marlies Busse im Rahmen der Verbandsordnungskommission des Deutschen Caritasverbandes (DCV) vorgetragen.
2 Vgl. Wippermann, Carsten (2024). Fachgespräch. In: CKD Direkt 2/2024. S.5.
3 Vgl. Butzin, Achim / Gärtner, Stefan (2017). Bürgerschaftliches Engagement, Koproduktion und das Leitbild gleichwertiger Lebensbedingungen. 16. Oktober 2017. In: https://link.springer.com/article/10.1007/s13147-017-0506-z. Aufgerufen am 14. Juni 2024.
4 Vgl. Welskop-Deffaa, Eva M. (2023). Art. Symbiose, Coproduktion, Konkurrenz. In neue caritas 17 (2023). S.9-12.
5 Vgl. Anm. 1.
6 Vgl. Bornemann, Stefan / Boskamp, Jan / Zimmermann, Monika (2020). Ehrenamt - die Kunst der Koproduktion. In: KiTa BW 1 (2020).
7 Vgl. Mann, Silvia et al. (2018). Integration von Geflüchteten im Rahmen inklusiver Quartiersentwicklung: Zusammenwirken von Hauptamt, Ehrenamt und Geflüchteten in ländlichen Räumen. Siegen 2018. S.27ff.
8 Strickler, Michael (2007). Ehrenamt als soziales Kapital: Partizipation und Professionalität in der Bürgergesellschaft. Karlsruhe 2007. S.81f.
9 Vgl. Lumen gentium. Dogmatische Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Kirche. 21. November 1964. In: AAS 57 (1965) 5-64.
10 Vgl. Apostolicam Actuositatem. Dekret des Zweiten Vatikanischen Konzils über das Apostolat der Laien. 18. November 1965. In: AAS (1966) 837-864.
11 Vgl. Christifideles laici. Nachsynodales Apostolisches Schreiben von Johannes Paul II. 30. Dezember 1988. In: AAS 81 (1989) 393-521.
12 Vgl. Rapp, Simon (2015). In die Ecke gestellt? Orden, Verbände und Räte und ihr Ort in den neuen Seelsorgestrukturen. In: Hallermann, Heribert (Hrsg.): Lebendige Kirche in neuen Strukturen. Würzburg 2016. S.13-20.