Ich gehe ein Stück mit dir - Ehrenamtsbegleitung
Auch Thea wollte etwas Gutes für andere tun, ein wenig Freude und Unterstützung für Menschen ermöglichen, die es schwer haben, die einsam sind oder mit einer Krankheit zurechtkommen müssen.
Beide waren sehr motiviert, sich ehrenamtlich für andere zu engagieren und beide haben eine ehrenamtliche Aufgabe in einem Seniorenheim begonnen. Während Iris jedoch noch heute einmal in der Woche eine Frau im Seniorenheim besucht, manchmal sogar zweimal, hat Thea ihr Engagement wieder aufgegeben. Glücklich ist sie nicht darüber, aber irgendwie passte das alles nicht.
Was führte dazu, dass Iris weiterhin engagiert ist und Thea nicht? War Ines einfach motivierter und Thea suchte nur kurzzeitig etwas Abwechslung, die ihr dann doch zu anstrengend war?
Natürlich spielt das, was jede*r einzelne Motivierte mitbringt auch eine Rolle bei der Frage, ob jemand engagiert bleibt oder nicht. Aber die für uns - als Akademie für Ehrenamtlichkeit - entscheidende Frage ist, was Einrichtungen, in denen ehrenamtliches Engagement stattfindet, dafür tun können, dass Menschen, die für sie passenden Aufgaben finden und diese dann motiviert ausführen können.
"Ich gehe ein Stück mit dir." Genau darauf kommt es unseres Erachtens an: Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren wollen, ein Stück des Weges zu begleiten, ihnen den Weg zu zeigen oder gemeinsam zu suchen, auf die schönen Dinge am Wegesrand hinzuweisen und dabei aufzupassen, dass der andere nicht über Wurzeln und Steine stolpert, die uns schon bekannt sind; die passende Landkarte haben und die Berghütten einzeichnen, an denen man sich stärken kann.
Im Fall von Thea war da niemand, der ein Stück des Weges mit ihr ging. Sie hatte gehört, dass in dem Seniorenheim um die Ecke Besuchsdienste möglich sind. Zunächst schrieb sie an die Kontakt-E-Mail der Einrichtung und bekam keine Antwort. Daraufhin ging sie im Seniorenheim vorbei und führte ein spontanes Gespräch mit einer Mitarbeiterin - Frau Sames -, die ihre Idee toll fand und Thea bat, später noch einmal wieder zu kommen, wenn sie etwas mehr Zeit hätte. So kam Thea an diesem Tag ein zweites Mal ins Seniorenheim, wartete 15 Minuten bis Frau Sames wirklich Zeit hatte und sprach mit ihr 15 Minuten - mehr war nicht möglich, weil durch den Ausfall eines Kollegen besonders viel zu tun war.
Frau Sames meinte, dass es immer mal Ehrenamtliche gegeben hätte und sie das auch gerne ausbauen würden und sie sagte, dass es ihnen wichtig sei, dass Ehrenamtliche sich an die Regeln des Hauses und an Absprachen hielten. Sie hätte auch schon nachgedacht und Frau Baum aus Zimmer 406 bekäme nie Besuch und würde sich darüber sicherlich freuen; sie sei schon etwas vergesslich, aber sehr nett, aber eben einsam. Donnerstags würde es besonders gut passen, da würden andere am Spielenachmittag teilnehmen, was für Frau Baum nichts wäre, ob Thea sich das vorstellen könnte und ob sie sonst noch Fragen hätte?
Thea fielen so spontan keine passenden Fragen ein, aber sie war erfreut, dass es offenbar recht unkompliziert war, eine Aufgabe für sie zu finden. So sagte Thea zu: Am kommenden Donnerstag um 15:00 sollte es losgehen.
Thea war pünktlich und machte sich zunächst auf die Suche nach Frau Sames. Sie erfuhr jedoch, dass diese einen Dienst tauschen musste und nicht im Haus sei. Auf Theas Kommen war nun niemand vorbereitet, aber wenn Frau Sames etwas über Frau Baum gesagt hatte, dann könne sie ja einfach zu ihr gehen - Zimmer 406.
So ging Thea zu Frau Baum, eine nette ältere Dame, schön zurecht gemacht, an einem Tisch sitzend, die sie freundlich begrüßte, fragte, wer sie sei und was sie für Sie tun könne. Auf diese Frage hatte Thea keine richtige Antwort, sie stellte sich vor, versuchte ein Gespräch, aber nach ein paar Fragen - auf die sie kurze Antworten bekam - fiel ihr einfach nichts mehr ein und sie wusste auf einmal nicht mehr, warum sie überhaupt da war.
Nach einer gefühlten langen halben Stunde verabschiedete sich Thea von Frau Baum, suchte die Pflegerin, mit der sie zuvor geredet hatte, verabschiedete sich und hätte gerne kurz gesprochen, aber die Pflegerin schien in Eile und so kam kein Gespräch zustande.
Am kommenden Donnerstag entschied Thea, dass sie nicht noch einmal zu Frau Baum gehen würde, zu unklar war ihr, was sie da wirklich sollte und der Gedanke an die vorangegangene Woche erfüllte sie mit einem gewissen Unbehagen und Frau Sames hatte sie ja offensichtlich eh vergessen, ihre Anwesenheit schien also nicht so wichtig zu sein.
Der Wunsch, etwas Gutes zu tun, blieb, aber irgendwie hat Thea seitdem keinen neuen Anlauf genommen, ein Engagement für sich zu finden.
Bei Ines verlief die Geschichte anders. Als sie in dem Seniorenheim in ihrer Nähe anrief, wurde sie mit der dortigen sogenannten Ehrenamtskoordinatorin Frau Peters verbunden, die mit ihr einen Termin vereinbarte. Bei dem Treffen zeigte Frau Peters ihr die Räumlichkeiten, setzte sich dann mit Ines in ein ruhiges Zimmer und bot ihr Kaffee und Kekse an. Sie nahm sich Zeit, um mit Ines darüber zu sprechen, warum sie das Seniorenheim ausgesucht hatte, was sie gerne konkret machen würde, ob sie Erfahrung mit älteren Menschen habe, wie viel Zeit sie mitbringen würde und was ihr Hintergrund sei. Frau Peters erzählte Ines, dass es möglich sei, entweder im Rahmen des einmal wöchentlich stattfindenden Begegnungs-Cafés bei Kaffee und Kuchen mit den Bewohner*innen ins Gespräch zu kommen, vielleicht etwas zu spielen oder auch einen individuellen Besuchsdienst zu übernehmen, was aber längerfristig angelegt sei und einmal wöchentlich stattfinden sollte. Sie erzählte auch, was in der Einrichtung wichtig sei und dass sie vorschlage, dass Ines zunächst dreimal zum Begegnungs-Café kommen könnte, um einen Eindruck zu gewinnen und sie danach besprechen, was sie genau für eine Aufgabe übernehmen könnte.
So ging Ines zum nächsten Begegnungs-Café-Termin. Frau Peters begrüßte sie herzlich und machte sie mit den beiden ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen bekannt, die das Café regelmäßig betreuen. Sie ging mit Ines von Tisch zu Tisch und stellte sie den anwesenden Besucher*innen vor und fragte sie, ob sie Lust hätte mit zwei Bewohnerinnen eine Runde Skat zu spielen, ihnen fehle oft eine dritte Person. So verbrachte Ines den Nachmittag mit Skat und kam mit den zwei Frauen nebenbei ins Gespräch, wo sie Skat gelernt hätte, wo sie herkäme und ob sie auch ja wiederkommen würde.
Die gleiche Frage stellte ihr Frau Peters am Ende des Nachmittags, fragte, wie es Ines gefallen hätte, ob es Fragen gäbe und sie bedankte sich für ihr Kommen. Eine der Ehrenamtlichen sagte ihr, dass sie die beiden Frauen schon lange nicht so angeregt in einer Unterhaltung erlebt hätte, normalerweise würden sie eher schweigend miteinander spielen und ob sie in der kommenden Woche wieder mitmachen möchte.
So kam Ines in der darauffolgenden Woche wieder, freute sie darauf, wurde bereits wiedererkannt und zum Mitspielen aufgefordert. Nach dem dritten Termin verabredete sie sich - wie angekündigt - mit Frau Peters, die sich Zeit nahm, um über Ines Eindrücke zu sprechen und ob dies die Aufgabe sei, die sich Ines vorgestellt habe. Ines erzählte, dass sie Freude an den Nachmittagen hätte und die Atmosphäre sehr angenehm sei, dass sie aber eigentlich gerne mit jemandem in Kontakt käme, der vielleicht nicht ins Begegnungs-Café kommen konnte und sich über individuellen Besuch freuen würde. Frau Peters schlug ihr vor, mit Frau Bliss - einer an Alzheimer erkrankten Frau - Zeit zu verbringen. Sie erzählte, dass dies vielleicht nicht immer einfach sei, aber Frau Bliss hätte niemanden, der regelmäßig Zeit mit ihr verbringe, was ihr jedoch guttun würde.
Frau Peters berichtete auch, dass der Träger des Seniorenheims regelmäßig Schulungen über Alzheimer für Angehörige und Interessierte anbiete und es gut wäre, wenn sie daran teilnehmen würde. Außerdem lud sie Ines zum regelmäßigen Stammtisch der Ehrenamtlichen der Seniorenheime des Trägers ein. Ines entschloss sich, den Besuchsdienst von Frau Bliss zu übernehmen. Auch hier wurde sie von Frau Peters persönlich Frau Bliss vorgestellt, der erste Weg gemeinsam gegangen.
Die Nachmittage mit Frau Bliss nimmt Ines als Bereicherung ihres Lebens wahr, aber es ist für sie auch nicht immer einfach, wenn es Frau Bliss seelisch oder körperlich schlecht geht, was regelmäßig der Fall ist oder Frau Bliss sie nicht erkennt oder aggressiv ist und Ines sich in herausfordernden Situationen wiederfindet. Vieles kann sie mit sich selbst ausmachen, aber die regelmäßigen, manchmal auch nur kurzen Gespräche mit Frau Peters, die sowohl von Verständnis als auch von kleinen Hinweisen zum Umgang mit der Situation geprägt sind, helfen Ines immer wieder, konstruktiv und mit neuer Kraft ihr Engagement auszuüben.
An vielen Orten, in denen sich Ehrenamtliche engagieren, gibt es keine hauptamtlichen Ehrenamtskoordinator*innen wie Frau Peters. Wenn es sie gibt, ist die Begleitung von Ehrenamtlichen oft eine von vielen Aufgaben. Aber die Einführung und Begleitung von Ehrenamtlichen kann auch von anderen Ehrenamtlichen übernommen werden. Viele Organisationen machen gute Erfahrungen mit sogenannten Mentoring-Formaten: Ehrenamtliche, die schon länger eine Aufgabe übernommen haben, gehen den ersten Weg mit neuen Ehrenamtlichen. Sie stehen für Fragen und Tipps zur Verfügung und sorgen dafür, dass eine neue Person nicht nur mit der Aufgabe vertraut wird, sondern auch aufgenommen wird in das vorhandene Netzwerk einer Gemeinde oder einer Orts- und Regionalgruppe. Denn für viele Ehrenamtliche spielt auch der Gemeinschaftsaspekt eine große Rolle, sich zugehörig zu fühlen und Kraft aus dem Austausch und Beisammensein mit anderen Engagierten ziehen zu können.
Gerade in beziehungsintensiven Ehrenämtern - wie Besuchs- und Begleitdiensten oder Patenprojekten - brauchen Ehrenamtliche einen Menschen, an den sie sich wenden können, wenn es mal schwierig ist oder auch ein besonderer Erfolg geteilt werden möchte. Wir empfehlen, dass Ehrenamtliche von Anfang an klar wissen, an wen sie sich konkret wenden können, damit sie sich nicht alleingelassen fühlen oder erst eine*n Gesprächspartner*in suchen müssen, wenn ein entlastendes Gespräch wichtig wäre. Umgekehrt ist es ebenfalls sinnvoll, wenn es jemanden gibt, der dafür verantwortlich ist, die Ehrenamtlichen auf ihrem Weg im Blick zu haben und in schönen aber gerade auch schwierigen Momenten proaktiv anbieten kann, ein Stück des Weges gemeinsam mit ihnen zu gehen.
Zur Autorin: Ulrike Gringmuth-Dallmer ist Teil des Geschäftsführungstandems der Akademie für Ehrenamtlichkeit. Als bundesweites Kompetenzzentrum unterstützt die Akademie für Ehrenamtlichkeit seit über 20 Jahren gemeinnützige Organisationen durch Fortbildungen und Prozessbegleitung in der (Weiter-)Entwicklung ihrer Organisation und Freiwilligenkultur. Mit ihrer Arbeit setzt sie sich für gute Rahmenbedingungen für freiwilliges Engagement ein. Ein Schwerpunkt der Arbeit ist die Ausbildung von Freiwilligenkoordinator*innen und Freiwilligenmanager*innen.
Publiziert in: Mission MitMensch! Agentinnen und Agenten der Nächstenliebe, Jan. 2020