Digitales Ehrenamt gestalten! Aber wie?
Seit Ende des letzten Jahrhunderts ist Ehrenamt auch eine Freizeitbeschäftigung, die Spaß machen soll. Und jüngstens nun soll sich das Ehrenamt auch mit all den anderen Anforderungen des Alltags vereinbaren lassen. So entwickelten sich im Laufe der Zeit zahlreiche Spielarten des Ehrenamts, die sich wie verschiedene Schichten übereinanderschieben, und so die große Vielfalt des Ehrenamts ergeben, wie wir sie kennen. Neben einzelnen Ehrenämtern, zu denen Bürgerinnen und Bürger immer noch verpflichtet werden können (z.B. Schöffen bei Gericht), gibt es hierzulande durchaus noch sehr viel und sehr starkes Vereinsengagement. Es gibt aber eben auch Vereinsmitgliedschaft ohne Ehrenamt und Ehrenamt ohne Vereinsmitgliedschaft. Es gibt Voluntourismus, Gig-, Skill- und Micro-Volunteering, Crowdsourcing, Klickworking und so weiter und so fort.
Dienstleister für die Ehrenamtlichen sein
Die Formen des Ehrenamts machen die Vielstimmigkeit einer lebendigen Bürger- und Zivilgesellschaft aus. Sie verlangen zivilgesellschaftlichen Organisationen aber auch einiges ab! Allem voran müssen sich Kirchen, Vereine und Initiativen, Genossenschaften und Parteien als Dienstleister für ihre Ehrenamtlichen verstehen lernen. Unterstützer, deren Auftrag es ist, gute Rahmenbedingungen für das individuelle Engagement bereitzustellen. Das digitale Ehrenamt - ich nenne es Online-Volunteering1 - bietet hierfür einige Möglichkeiten.
Was ist digitales Ehrenamt?
Digitales Ehrenamt ist orts- und zeitungebundenes ehrenamtliches Engagement, das ausschließlich oder teilweise über das Internet geleistet wird. Grob gesagt können so engagierte Ehrenamtliche (1) digitale Produkte - zum Beispiel Texte, Bilder, Grafiken und Videos - erstellen oder bearbeiten und über das Internet zugänglich machen. Sie können (2) ebenso beratend oder begleitend tätig werden - zum Beispiel als Mentorin oder Coach, als Pro-Bono-Berater oder Spezialistin für ganz bestimmte Fragestellungen. Und nicht zuletzt können sie (3) organisatorische Aufgaben übernehmen, die sich unabhängig von Ort und Zeit realisieren lassen - zum Beispiel Konzeptarbeiten oder Vorbereitungen für Moderationen.
Laut des letzten Freiwilligensurveys aus dem Jahr 2014 engagieren sich 58 % der Ehrenamtlichen in Deutschland mindestens teilweise über das Internet - gerade drei Prozent der Online-Volunteers tun dies ausschließlich oder überwiegend. In allen Altersgruppen zwischen 20 und 69 Jahren engagieren sich mehr als die Hälfte der ehrenamtlich Aktiven mindestens teilweise über das Internet. Allein in den Altersgruppen der 14- bis 19- so-wie der ab 70-Jährigen engagieren sich weniger als 50 % der Ehrenamtlichen über das Internet.
Die Daten des Freiwilligensurveys weisen deutlich darauf hin, dass sich das digitale Ehrenamt vor allem durch Flexibilität auszeichnet. Insbesondere am Online-Engagement junger Menschen zwischen 20 und 35 Jahren wird das hier deutlich: Die Lebensphase junger Erwachsener ist von zahlreichen Anforderungen geprägt - von der Berufsausbildung oder dem Studium über den Start ins Berufsleben bis zur Familiengründung. Der Rückzug ins Private, der sich in der Engagementstatistik in dieser Lebensphase seit jeher zeigt, ist die Folge. Jene dieser Altersgruppe aber, die sich engagieren, tun dies im Gegensatz zu den etwas jüngeren Menschen (meistens Schülerinnen und Schüler) sehr oft mindestens teilweise über das Internet.2
Vieler anderslautender Vermutungen der letzten Jahre zum Trotz zeigt sich, dass das Digitale im Ehrenamt nicht allein der Jugend vorbehalten ist. Das Ehrenamt verändert sich nicht "intergenerational" (von Generation zu Generation), sondern "intragenerational" (innerhalb einer Alterskohorte). In den letzten Jahren haben viele Menschen die Mittel und Möglichkeiten, die das Internet heute bietet, kennen, schätzen und nutzen gelernt.
Sie lernen dann neue Anwendungen und Gerätschaften kennen und schätzen, wenn sie einen praktischen Mehrwert bieten - im alltäglichen Leben, von dem ihr Ehrenamt in der Regel nur ein kleiner Teil ist.
Digitales Ehrenamt gemeinsam gestalten!
Seit einiger Zeit stellen sich Freiwilligenmanagerinnen und -manager nun schon die Frage, wie sich digitales Ehrenamt gestalten lässt. Den Ausführungen bis hierher folgend können wir dafür von fünf Dingen ausgehen:
- Ehrenamt ist vielfältig. Es gibt unzählige Möglichkeiten und Wege, sich zu engagieren.
- Die Vereinbarkeit von Ehrenamt, Familie und Beruf verlangt flexible Rahmenbedingungen.
- Das Internet wird von Ehrenamtlichen genutzt, um ihre Tätigkeit zu flexibilisieren.
- Genutzt werden Hard- und Software, die Mehrwert auch abseits des Ehrenamts bieten.
- Der digitale Wandel des Ehrenamts verläuft nicht inter-, sondern intragenerational.
Die ersten beiden Punkte machen noch einmal deutlich, dass der Ball im Feld der Träger ehrenamtlichen Engagements liegt - bei Kirchen, Vereinen und Initiativen, bei Genossenschaften und Parteien. Sie sind gefragt, ehrenamtlich Engagierten flexible Rahmenbedingungen anzubieten, weil diese sonst eben andere Wege in ihrem Engagement gehen. Die nächsten beiden Punkte zeigen eine Chance auf, wie der digitale Wandel im Ehrenamt gestaltet werden kann; nämlich gemeinsam mit den Engagierten. Und der fünfte und letzte Punkt macht deutlich, dass abwarten keine Option ist.
Ganz im Sinne des Freiwilligenmanagements geht es bei der Gestaltung des digitalen Wandels im Ehrenamt also um Organisations- und Personalentwicklung, die den Bedarfen der ehrenamtlich Engagierten entspricht. Es geht darum, die "User Experience" im Ehrenamt zu verbessern und die Prozesse im ehrenamtlichen Engagement der Organisation so weit zu modernisieren, dass auch neue Formen ehrenamtlichen Engagements in der Organisation möglich werden.
Um diesen Wandel partizipativ zu gestalten, werden mittlerweile auch im sozialen Bereich vermehrt Methoden wie das Design Thinking erprobt, die sich vor allem durch Agilität und Nutzerzentrierung auszeichnen.
Kurz zusammengefasst führt Design Thinking durch einen mehrschrittigen Prozess, bei dem zunächst das Problem definiert und die Herausforderung eingegrenzt werden. Danach wird mit diversen Methoden versucht, die Perspektive von Nutzerinnen und Nutzern der angestrebten Lösung einzunehmen, um schließlich erste Ideen in schnelle Entwürfe (Prototypen) umzusetzen und diese unter möglichst realen Bedingungen zu testen, anzupassen, wieder zu testen und so weiter.
Der methodische Entwicklungsprozess des Design Thinking hat für die Weiterentwicklung des ehrenamtlichen Engagements in einer Organisation Charme. Er ist für Problem- und Fragestellungen einsetzbar und kann helfen, die unterschiedlichen Sichtweisen von Haupt- und Ehrenamtlichen, von Organisierenden und Helfen-den zu vereinen, um so zu neuen Lösungen zu kommen, die von den alltäglichen Bedarfen aller Beteiligten inspiriert sind. Diese Lösungen aber werden nie voll-ständig, umfassend und endgültig fertig sein. Dafür verändert sich das Ehrenamt viel zu schnell. Das "ewige BETA"3, die ewige Entwurfsfassung, des Web 2.0 wird so auch in bürger- und zivilgesellschaftlichen Organisationen Realität.
Auf los geht’s los!
Die Herausforderungen sind groß, die Chancen aber deutlich: Der digitale Wandel hat den Alltag vieler Menschen bereits gründlich verändert. Die Rahmenbedingungen im ehrenamtlichen Engagement daran anzupassen, ist die Herausforderung, die Expertise der Ehrenamtlichen für ihren eigenen Alltag die größte Chance. Bevor es aber losgehen kann mit der gemeinsamen Gestaltung des digitalen Wandels vergewissern Sie sich, dass sie mindestens die folgenden Dinge mit auf die Reise nehmen:
- Ein echtes Problem - Werden nur wenige digitale Werkzeuge bei Ihnen eingesetzt, kann dies einerseits am fehlenden Know-how oder mangelhafter Ausstattung liegen. Es kann aber auch sein, dass es überhaupt keinen Bedarf dafür gibt. Fragen Sie sich, welches Problem Sie eigentlich lösen wollen.
- Veränderungsbereitschaft - Neue, digitale Ansätze für ehrenamtliches Engagement taugen nur so viel, wie sie von den Beteiligten zugelassen werden. Der berühmte Satz "Culture eats Strategy for break-fast" bewahrheitet sich immer und immer wieder.
- Unterstützung von anderen - Sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen, das konnte nur der Baron Münchhausen. Holen Sie sich externe Unterstützung, die Sie mit neuen Methoden und neuen Sichtweisen auf Ihrem Weg begleiten.
- Mut zur Praxis - Neuerungen gehen mit Ungewissheit und Unbehagen einher, besonders wenn sie zu lange theoretisch bleiben. Machen Sie den Nutzen praktisch erlebbar. Wenn er sich nicht ein-stellt, probieren Sie etwas anderes.
1Jähnert, Hannes (2012): Was ist Online-Volunteering? In: BBE-Newsletter 5/2012.
2Weitere empirische Befunde zur Digitalisierung von Ehrenamt und freiwilligem Engagement: Hagen/Simonson (2016), Jähnert (o.J.) und Jähnert/Weber (2018).
3O'Reilly, Tim (2005): What is Web 2.0. Design Patterns and Business Models for the Next Generation of Software. www.oreilly.com/pub/a/web2/archive/what-is-web-20.html (Abruf: 24.09.2018).
Weitere Literatur:
Hagen, Christine/Simonson, Julia (2016): Inhaltliche Ausgestaltung und Leitungsfunktionen im freiwilligen Engagement. In: Simonson, Julia/Vogel, Claudia/Tesch-Römer, Clemens (Hrsg): Freiwilliges Engagement in Deutschland. Der Deutsche Freiwilligensurvey 2014. Berlin: Springer VS, S. 299-332.
Jähnert, Hannes (o. J.): ProjektFWS. Artikelsammlung zum Forschungsprojekt "Online-Volunteering in Deutschland". www.hannes-jaehnert.de/wordpress/tag/projektfws/ (Abruf: 24.09.2018).
Jähnert, Hannes/Weber, Mike (im Erscheinen): Partizipation und ehrenamtliches Engagement im digitalen Wandel. In: Skutta, Sabine/Steinke, Joß (Hrsg.): Digitalisierung und Teilhabe - Mitmachen, mitdenken, mitgestalten (Arbeitstitel). Baden-Baden: Nomos Verlag.